Interview mit Botschafter Pawlo Klimkin "Kiew braucht Millionen Partner in Deutschland"

Berlin · Pawlo Klimkin (46) ist seit zwei Jahren ukrainischer Botschafter in Berlin. Er nimmt Stellung zu den Vorgängen in und um sein Land.

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Welche Zukunft hat die Ukraine?

Klimkin Ich sehe die Ukraine als ein demokratisches europäisches Land, als eine europäische Macht, aber im positiven Sinne, durch Wirtschaft und Soft Power, in globale Netzwerke integriert und hoffentlich mit globalen Ambitionen. Das mag heute komisch klingen, aber die Voraussetzungen dafür sind da. Wichtig ist aber, dass wir sie nutzen und dass man sie uns auch nutzen lässt. Das Erste müssen wir selbst schaffen, beim Zweiten brauchen wir die Unterstützung der Weltgemeinschaft.

Gibt es Chancen für eine dauerhafte Verständigung mit Moskau?

Klimkin Nicht nur Chancen, sondern dies ist eine unvermeidbare Notwendigkeit. Wir müssen unsere Beziehungen neu gestalten und uns von dem postsowjetischen Paradigma trennen. Wir sollten beide unsere Beziehungen auf den universellen Prinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufbauen. Die Ukraine hat keine andere Wahl als sich in Richtung der europäischen Werte zu entwickeln. Russland könnte auch diesen europäischen Weg gehen oder seine spezielle Identität behalten. Ausschlaggebend ist es aber, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu den Grundsätzen unserer bilateralen Zusammenarbeit werden.

Wie lässt sich der Gegensatz zwischen EU- und Russland-Annäherung in der Ukraine auflösen?

Klimkin Dies ist ein virtueller Gegensatz, den es in der Realität nicht wirklich gibt. Diejenigen, die so sprechen, teilen das geografische Europa in zwei ungleichmäßige Teile, zwei politische und wirtschaftliche Blöcke, und wiederholen gleichzeitig immer wieder, dass wir in Europa keine neuen Grenzen bauen müssen. Wir leben aber in einer globalen vernetzten Welt, wo die Ukraine sich für die europäischen Werte nicht deswegen entschieden hat, dass wir in den EU-Einflussbereich wollen, sondern weil diese Werte unserer Identität, Geschichte und unseren nationalen Entwicklungsinteressen nahe sind. Eine demokratische und stabile Ukraine ist letztendlich auch im Interesse Russlands.

Welche Rolle kann Deutschland bei der Überwindung der Krise spielen?

Klimkin Ich möchte mich bei vielen deutschen Politikern für ihre Teilnahme an der Überwindung der Krise und ihr Herz für die Ukraine bedanken. Ich sehe aber auch, wie viele einfache Bundesbürger den Weg von Kommentaren zur Lage in der Ukraine über Mitleid mit den Menschen bis zu konkreten Hilfeversuchen gegangen sind. Deutschland ist auf eine besondere Weise für das Schicksal Europas verantwortlich. Nicht nur der Staat, denn wir leben im 21. Jahrhundert, in dem die Bürger und nicht die Regierungen die Zukunft der Welt bestimmen. Wir brauchen Tausende und Millionen von gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Partnerschaften, welche die Ukraine immer näher an Europa bringen werden. Solche Partnerschaften braucht auch Russland, aber zum anderen Zweck: zur Stärkung von Idealen der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Ihre Empfehlung an die deutsche und europäische Politik?

Klimkin Weniger über die Sanktionen reden und dabei Zeit, Dynamik und manchmal auch Glaubwürdigkeit verlieren, sondern grundlegend den Inhalt und die Form der Zusammenarbeit mit Russland in den Schlüsselbereichen revidieren.

Gregor Mayntz führte das Interview.

(may-)
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