Kampf ums politische Überleben Britische Premierministerin Liz Truss hält an marktliberalem Kurs fest

London · Gerade einmal vier Wochen im Amt, muss die neue britische Premierministerin Liz Truss um ihr politisches Überleben kämpfen. Beim Parteitag der britischen Konservativen in Birmingham lief es gar nicht gut.

 Die britische Premierministerin Liz Truss hält eine Rede auf dem Parteitag der Konservativen im International Convention Centre in Birmingham.

Die britische Premierministerin Liz Truss hält eine Rede auf dem Parteitag der Konservativen im International Convention Centre in Birmingham.

Foto: AP/Kirsty Wigglesworth

Die Stimmung bei den Konservativen ist im Keller. Die britische Premierminsterin Truss musste eine demütigende Kehrtwende bei der geplanten Abschaffung des Spitzensteuersatzes vollziehen, und bis in ihr Kabinett hinein reicht die Opposition zu ihrem Vorhaben, die Sozialhilfe beschneiden zu wollen. Die Umfragewerte der Konservativen befinden sich auf einem historischen Tiefststand, und sie selbst ist so unpopulär wie es ihr Vorgänger Boris Johnson ganz am Ende war. Der Autoritätsverlust der Premierministerin nach nur einem Monat ist enorm – von einem „beispiellosen Kollaps“ spricht der Publizist Stephen Bush.

Am Mittwoch stellte sich für Truss daher die Aufgabe, mit einer Grundsatzrede zum Abschluss des Parteitages das Ruder herumzureißen. Die Omen standen nicht gut. Ausgerechnet an diesem Tag fand wieder einmal einer der vielen Bahnstreiks statt, die das Land in den letzten Monaten immer wieder lahmgelegt hatten, und den viele Delegierte und Abgeordnete zum Anlass genommen hatten, schon tags zuvor abzureisen, um nach Hause zu gelangen. Truss versuchte, mit einer Erläuterung ihrer angebotsorientierten Strategie für ein Wirtschaftswachstum die Truppen hinter sich zu scharen. Kaum hatte sie begonnen, ihr radikales Programm vorzustellen, kam es zu einem kleinen Eklat. Zwei junge Frauen von Greenpeace hatten es in die Halle geschafft und schwenkten ein Plakat, auf dem stand: „Wer hat dafür gewählt?“. Es bezog sich darauf, dass Truss nur durch die Stimmen von exakt 81,326 Mitgliedern der Konservativen Partei ins Amt gekommen war und damit für ihren politischen Schwenk nicht die Legitimation einer Unterhauswahl hat. Unter „Raus, raus, raus!“-Rufen wurden die Demonstranten aus dem Saal geführt.

Dann war es an Truss, ebendiese neue Politik vorzustellen. Um den großen Herausforderungen der durch die Corona-Pandemie und den Krieg in Europa ausgelösten weltweiten Wirtschaftskrise zu begegnen, sagte sie, müsse Großbritannien „die Dinge auf eine andere Weise tun“. Damit meint die Premierministerin ein umfassendes Programm von Steuersenkungen, Deregulierungen und Kürzungen bei öffentlichen Aufgaben. „Wann immer es Wechsel gibt“, sagte sie, „gibt es Störung“. Aber Störung sei der Preis für Wirtschaftswachstum. Als „eine bittere Pille, die uns alle in der Zukunft ökonomisch besser fühlen lässt“, hatte es vorab der Außenminister James Cleverly erklärt. Soll heißen: Die Steuersenkungen für Unternehmen, die das Wachstum ankurbeln sollen, werden teilweise durch Kürzungen bei den staatlichen Ausgaben finanziert – ein neues Austeritätsprogramm kommt auf die Briten zu.

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Foto: AFP/PAUL FAITH

„Wachstum, Wachstum, Wachstum!“, rief Truss, sei ihre Wirtschaftspolitik. Die Barrieren für wirtschaftliche Expansion müssten beseitigt werden, womit die Abschaffung von hinderlichen Vorschriften wie noch bestehende EU-Regularien gemeint war. Zulange sei es in der Politik darum gegangen, wie der Kuchen aufgeteilt werden soll, stattdessen braucht es jetzt eine neue Richtung: „Wir müssen den Kuchen größer machen, damit jeder ein größeres Stück bekommt.“ Das sind wohlbekannte Ideen und Formeln des Thatcherismus, die Liz Truss ihrem Publikum vorsetzte, und bei den Delegierten kamen sie gut an. Die Premierministerin ließ keinen Zweifel daran, dass sie trotz all der Rückschläge in dieser Woche an ihrem Kurs festhält. „Steuersenkungen“, rief sie, „sind der richtige Weg – moralisch wie ökonomisch.“ Auf das Argument, dass Steuersenkungen in einer Wirtschaftskrise das falsche Mittel sind, weil sie die Inflation anheizen, den Staatsfinanzen schaden und nicht zwangsläufig zu Wachstum führen, wollte sie nicht eingehen.

Sie nannte die Kritiker ihres Kurses die „Anti-Wachstum-Koalition“ und listete darunter sämtliche Oppositionsparteien auf sowie die Gewerkschaften, Umweltgruppen und „einige der Leute, die wir soeben erlebt hatten“. Bei ihren Zuhörern in der Halle stieß das auf Zustimmung, und zum Schluss gab es stehende Ovationen. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass innerhalb der Regierungsfraktion die Zustimmung wesentlich geringer ausfällt. Truss hat mit ihrer Rede demonstriert, dass sie ihr Programm eisern durchziehen will und von einem pragmatischeren Kurs nicht hält. Das dürfte rebellische Hinterbänkler eher ermutigen.

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