Parlamentswahlen in Frankreich Die Angst vor der „Schildkröte“ namens Mélenchon

Analyse · An diesem Wochenende beginnen in Frankreich die Parlamentswahlen. Kurz davor legt die Linksallianz Nupes zu. Sie könnte nah an das Parteienbündnis von Emmanuel Macron herankommen. Der schürt deshalb die Angst vor seinem Gegenspieler Jean-Luc Mélenchon.

 Jean-Luc Mélenchon auf einer Wahlkampfveranstaltung in Marseille.

Jean-Luc Mélenchon auf einer Wahlkampfveranstaltung in Marseille.

Foto: AFP/NICOLAS TUCAT

„Isst dieser Mann Kinder?“, fragte die Zeitung „Libération" am Freitag auf ihrer Titelseite. Gemeint war nicht etwa ein gefährlicher Serientäter, sondern der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon. Kurz vor der ersten Runde der Parlamentswahlen bringt die Gefahr, dass der 70-Jährige eine Mehrheit in der neuen Nationalversammlung gewinnen könnte, etwas Schwung in den müden Wahlkampf. Die Regierung stellt den einstigen Sozialisten als Schreckgespenst hin, was nicht nur „Libération“, sondern auch Mélenchon selbst spotten lässt. „Habt Angst. Mélenchon ist aggressiv. Er isst die Kinder“, höhnte er bei einer Wahlkampfveranstaltung am Donnerstag.

Der begnadete Redner hatte die Stichwahl um das Präsidentenamt im April nur knapp verpasst und noch am Wahlabend die Parlamentswahlen zur dritten Runde der „présidentielles“ ausgerufen. Bei dem Urnengang, der in zwei Runden an diesem und am kommenden Sonntag stattfindet, will er Rache nehmen. Er forderte die Französinnen und Franzosen deshalb auf, ihn zum Premierminister zu machen. Von der Verfassung her ist das zwar nicht möglich, da der Regierungschef vom Präsidenten ernannt und nicht vom Volk gewählt wird. Allerdings muss der Staatschef ihn aus den Reihen der Mehrheit in der Nationalversammlung aussuchen. Und die hofft Mélenchon mit seiner Anfang Mai eilig zusammengezimmerten Linksallianz Nupes zu holen. Dem neuen Bündnis gehören neben seiner eigenen La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) Sozialisten, Grüne und Kommunisten an.

Die vier Parteien, die sich bisher untereinander die Stimmen wegnahmen, treten nun nur noch jeweils mit einem Kandidaten oder einer Kandidatin in den 577 Wahlkreisen an. Dadurch erhöhen sie ihre Chancen deutlich, die zweite Runde zu erreichen, für die 12,5 Prozent der Stimmen auf der Basis aller Wahlberechtigten nötig sind.

Landesweit landet die Nupes in den Umfragen bei rund 28 Prozent und liegt damit gleichauf mit dem Präsidentenbündnis Ensemble (Gemeinsam). Allerdings sind die Zahlen trügerisch, denn durch das Mehrheitswahlrecht ergeben sich für die Nupes laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos 175 bis 215 Sitze, für Ensemble dagegen 260 bis 300. Die absolute Mehrheit, die bei 289 Mandaten liegt, könnte das Lager von Präsident Emmanuel Macron damit zwar verlieren, doch es bliebe immer noch stärkste Kraft in der neuen Nationalversammlung.

Lange hatte der Staatschef sich nicht um die Parlamentswahlen gekümmert, bei denen sich mit 46 Prozent eine historisch niedrige Wahlbeteiligung abzeichnet. Vor allem, weil die Rechtspopulistin Marine Le Pen, gegen die er die Stichwahl im April gewann, traditionell bei Parlamentswahlen schwach ist und auf höchstens 50 Sitze kommen dürfte. Doch mit Mélenchon, der sich gerne mit der Schildkröte in Jean de la Fontaines Fabel vergleicht, wuchs ihm in den vergangenen Wochen ein neuer, ernst zu nehmender Gegner heran. Die Schildkröte gewann nämlich das Rennen gegen den eigentlich schnelleren Hasen, der sich zu lange ausgeruht hatte.

Auf den letzten Metern setzt Macron deshalb auf die Angst vor Mélenchon, um seinen Gegenspieler hinter sich zu lassen. Bei einem Auftritt im Südwesten warnte er vor einem Erfolg der „Extreme“ und dem daraus entstehenden Durcheinander. „Nichts wäre gefährlicher, als dem weltweiten Chaos ein französisches hinzuzufügen.“ Seine Minister attackierten gleichzeitig das Wirtschaftsprogramm der Nupes, das laut dem liberalen Institut Montaigne 330 Milliarden Euro an Mehrausgaben pro Jahr bedeuten würde. Das Projekt der „neuen Volksunion“ sieht eine deutliche Anhebung des Mindestlohns, die Senkung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre und eine Preisblockade für die wichtigsten Alltagsgüter vor. Diese Maßnahmen müssten durch massive Steuererhöhungen und eine weitere, deutliche Verschuldung finanziert werden, warnen Experten. Haushaltsminister Gabriel Attal setzte dem noch einen drauf: Er sprach von einer „Steuerguillotine“, die auf die Französinnen und Franzosen im Falle eines Nupes-Wahlsieges niedergehen dürfte.

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