Papst-Rede zur Abtreibung Barmherzigkeit spricht eine andere Sprache

Rom · Noch vor zwei Jahren gab der Papst allen Priestern die unbegrenzte Vollmacht, Frauen von der Sünde der Abtreibung loszusprechen. Lange währte dieses Zugeständnis nicht.

 „Es ist nicht gerecht, einen Menschen umzubringen, auch wenn er klein ist. Es ist, wie einen Auftragsmörder zu mieten“ – so sprach Papst Franziskus.

„Es ist nicht gerecht, einen Menschen umzubringen, auch wenn er klein ist. Es ist, wie einen Auftragsmörder zu mieten“ – so sprach Papst Franziskus.

Foto: dpa/Gregorio Borgia

„Das menschliche Leben ist vom Augenblick der Empfängnis an absolut zu achten und zu schützen. Schon im ersten Augenblick seines Daseins sind dem menschlichen Wesen die Rechte der Person zuzuerkennen, darunter das unverletzliche Recht jedes unschuldigen Wesens auf das Leben.“

Der Katechismus der katholischen Kirche ist in der Frage von Abtreibung unmissverständlich, wie auch im Umgang mit jenen, die formell an der Abtreibung mitwirken: Sie begehen eine schwere Sünde gegen das Leben und werden mit der Exkommunikation bestraft. Die Position der katholischen Kirche bedarf in dieser Frage also keiner Auslegung. Und begründet wird sie unter anderem mit dem 139. Psalm, in dem es heißt: „Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen.“ Gott ist bei der Schöpfung von Beginn an zugegen; er bezeugt das Leben.

 Dass nun erneut erregt über die Rede von Papst Franziskus gestritten wird, liegt also weniger an der kirchlichen Grundeinstellung, sondern vor allem an der Wortwahl des Pontifex. Bei einer Generalaudienz auf dem Petersplatz sagte er: „Es ist nicht gerecht, einen Menschen umzubringen, auch wenn er klein ist. Es ist, wie einen Auftragsmörder zu mieten, um ein Problem zu lösen.“

Das bezeugt zunächst die Unberechenbarkeit des Papstes aus Argentinien. Hatte er doch zum Ende des Heiligen Jahres 2016 in seinem apostolischen Brief dazu aufgerufen, in der Kirche fortan eine „Kultur der Barmherzigkeit“ wachsen zu lassen. Und damit dem Wunsch nach Versöhnung und der Vergebung Gottes nichts mehr im Wege stehe, gewährte er „von nun an allen Priestern die Vollmacht, kraft ihres Amtes jene loszusprechen, welche die Sünde der Abtreibung begangen haben. Was ich auf den Zeitraum des Jubeljahres begrenzt gewährt habe, wird nun zeitlich ausgedehnt, unbeachtet gegenteiliger Bestimmungen.“

 Das sind starke Worte. Besonders langlebig scheint ihre Kraft nicht zu sein. Denn mit seiner jüngsten Rede auf dem Petersplatz werden sowohl alle Frauen, die ihre Schwangerschaft beenden wollen, als auch die beteiligten Ärzte stigmatisiert und zu Mördern deklariert. Barmherzigkeit spricht eine andere Sprache.

Solche verbalen Verurteilungen sind keine Ausnahme in Rom und können auch vor diesem Hintergrund nicht als Ausrutscher oder Unbedachtheit gesehen, gar entschuldigt werden. Schon wird vermutet, dass mit diesen Verurteilungen die nach wie vor agierenden konservativen Kreise im Vatikan „bedient“ werden könnten. Eine solche Instrumentalisierung würde freilich den Mörder-Vergleich noch bedenklicher machen.

Die Gleichsetzung von Abtreibung und Mord hatte bereits Franziskus’ Vorgänger Benedikt XVI. gezogen, als er noch Präfekt der Glaubenskongregation war. Und Papst Johannes Paul II. glaubte, Schwangerschaftsabbrüche mit dem Judenmord vergleichen zu müssen. Doch auch in Deutschland fanden sich konservative Bischöfe, die in Fragen der Abtreibung die Betroffenen sprachlich exekutierten. So hielt der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer den Begriff „Massaker im Mutterleib“ für angemessen, um gegen die Teilnahme der von katholischen Laien gegründeten Schwangerenberatung „Donum Vitae“ am Katholikentag 2014 zu diskreditieren.

Die päpstlichen Worte vom „Auftragsmörder“ lenken den Blick auch auf die zur Normalität gewordenen Konfliktsituation hierzulande. Die entstand vor zwei Jahrzehnten, als die Mehrheit der deutschen Bischöfe unter dem Vorsitz von Bischof Karl Lehmann glaubte, einen Weg gefunden zu haben, wie die Kirche in der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung verbleiben könne. Erst die Intervention von Joachim Kardinal Meisner in Rom stimmte Papst Johannes Paul II. um. Damit war der Ausstieg der Kirche aus der Konfliktberatung besiegelt. Die Laien gingen fortan ihren eigenen Weg.

Bei allem Bemühen, Abtreibungen zu verhindern, ist und bleibt es indiskutabel, den Schwangerenschaftsabbruch als Auftragsmord zu bezeichnen. Denn hinter jeder Abtreibung steht eine Leidensgeschichte und moralische Notsituation der Frau. Dies zu missachten, schlimmer noch: dies nicht zu würdigen und an die Stelle der nötigen Hilfe die selbstgerechte Verurteilung zu setzen, ist das Zeichen einer Kirche, die sich die Frage nach den Lebenswirklichkeiten der Menschen nicht mehr stellt.

Und es ist auch das Zeichen einer von Männern und deren Weltsicht geprägten Kirche. Erst am Donnerstag sprach Reinhard Kardinal Marx auf der Bischofssynode in Rom auch über die Gleichberechtigung von Frauen. Seine Worte: „Wir können uns nicht mehr einfach aus den Diskursen der Gegenwart heraushalten und müssen neu eine Streitkultur lernen, um uns argumentativ und orientierend in die gesellschaftlichen Debatten zu zentralen Grundfragen des Menschseins, wie der Sexualität, der Rollen von Frauen und Männern und der menschlichen Beziehungsgestaltung, einzubringen. Es ist höchste Zeit!“

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