Krise in der Ost-Ukraine Wer kann, der flieht - Lage in Donezk wird immer bedrohlicher

Donezk · Gewalt und Zerstörung beherrschen den Alltag in Donezk. Erbittert kämpfen Armee und Aufständische um die strategisch wichtige Stadt in der Ostukraine. Ein Großteil der Bewohner ist auf der Flucht.

Die zerstörten Häuser in der Ostukraine
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Dichter Rauch steht über Donezk, Sirenen von Krankenwagen und Löschfahrzeugen schrillen durch die Sommerluft. Wieder ist eine Granate eingeschlagen, irgendwo in der umkämpften Großstadt in der Ostukraine. Die Regierungstruppen ziehen ihren Belagerungsring immer enger, seit Wochen geht die Armee mit massivem Artilleriebeschuss gegen prorussische Separatisten vor.

Aus ihren Stellungen feuern die Aufständischen zurück. Immer mehr Menschen sterben im Konfliktgebiet - darunter Kinder, Frauen, Alte. "Hier herrscht Krieg", klagen noch verbliebene Einwohner in Internetforen.

Die Regierung in Kiew weist Vorwürfe zurück, ihr sei das Schicksal der Zivilisten in Donezk und der benachbarten Separatistenhochburg Lugansk egal. "Die ukrainischen Streitkräfte beschießen keine Wohngebiete", sagt Andrej Lyssenko vom Sicherheitsrat. Er gibt die Schuld den Aufständischen. Sie würden absichtlich auf zivile Ziele feuern, um die Zerstörungen der Armee anzulasten. Die Separatisten nennen diese Behauptung "perfide". Für die meisten Bewohner der umkämpften Städte macht das keinen großen Unterschied. Viele von ihnen müssen immer öfter Zuflucht suchen im Keller.

Wer kann, flieht. Noch vor zwei Jahren war Donezk stolzer Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft und beherbergte tausende Fans aus England, Frankreich und Spanien. Die Millionenstadt war sogar besser in Schuss als etwa die Hauptstadt Kiew - wohl auch, weil der im Februar gestürzte Präsident Viktor Janukowitsch seine russisch geprägte Heimatregion nie vergaß. Und auch, weil der reichste Mann der Ukraine, der Oligarch Rinat Achmetow, auf seinen Wohnort achtete.

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Noch können Reparaturteams Schäden an der Infrastruktur schnell beheben. Strom und Wasser fließen, Läden bieten Waren an. Trotzdem ist die Hälfte der Einwohner angeblich bereits geflohen. Doch das Verlassen der Stadt über Fluchtkorridore wird immer schwieriger.

Lange Warteschlangen von Familien mit Kleinkindern stehen vor dem letzten funktionierenden Busbahnhof Juschni. Fahrkarten müssen bereits viele Tage im Voraus gekauft werden. "Die Busse gehen planmäßig, doch die Fahrer sind nervös", sagt die Donezkerin Janina der Kiewer Zeitung "Segodnja". Auf dem Zugbahnhof herrscht ein ähnliches Bild. Die von der prowestlichen Regierung versprochenen Sonderzüge lassen auf sich warten. Zudem wissen viele Menschen nicht, wo sie Zuflucht finden könnten - und bleiben trotz großer Gefahr zu Hause.

Die 28-jährige Marina hat mit ihrer dreijährigen Tochter Diana die Flucht gewagt. "Wir waren Geiseln im eigenen Zuhause. In Donezk sind aber meine Eltern und mein Mann zurückgeblieben. Sie können nicht einfach von der Arbeit verschwinden. Wir hoffen wirklich, dass alles bald endet", sagt Marina. Untergekommen war sie zunächst bei den Schwiegereltern in Dokutschajewsk bei Donezk. Seit zwei Wochen lebt sie bei ihrer Schwester in Kramatorsk, das die Armee kontrolliert.

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Nach einem baldigen Ende der schweren Krise sieht es nicht aus. "Die Kämpfer der selbst ernannten Donezker Volksrepublik sind überall zu sehen, und sie haben sich in der Stadt gut verschanzt", sagt der Journalist Iwan Letkowski dem Radiosender Westi. Separatistenführer Alexander Sachartschenko droht mit einem neuen "Stalingrad", sollte die Armee Donezk stürmen. "Wir sind bereit, um jede Straße und jedes Haus zu kämpfen", erklärt er mit scharfen Worten.

Vor einer totalen Offensive auf Donezk und Lugansk schreckt die Militärführung bisher zurück. Die ukrainische Regierung sei nicht bereit, die Städte in Schutt und Asche zu legen, meint der Chefredakteur der Wochenzeitung "Serkalo Nedeli", Sergej Rachmanin. Er sieht das Militär in der Zwickmühle.

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"Entweder verzichtet die Armee auf den Einsatz von Artillerie und Luftwaffe - dann werden die Verluste in ihren Reihen hoch sein. Oder sie nimmt die Städte stärker unter Beschuss. Dann allerdings riskiert sie sehr viele Opfer in der Bevölkerung", sagt Rachmanin.

(dpa)
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