Olympia-Attentat 1972 Deutschland will Hinterbliebenen 28 Millionen Euro Entschädigung zahlen

Berlin · Der Streit zwischen der Bundesrepublik und den Hinterbliebenen des Olympia-Attentats von 1972 zog sich über Jahrzehnte hin. Unmittelbar vor dem 50. Jahrestag gibt es nun eine Einigung. Sie enthält viel mehr als nur eine finanzielle Entschädigung.

Am Erinnerungsort zum Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 stehen junge Frauen neben einem Kranz des bayerischen Ministerpräsidenten.

Am Erinnerungsort zum Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 stehen junge Frauen neben einem Kranz des bayerischen Ministerpräsidenten.

Foto: dpa/Stefan Puchner

Unmittelbar vor dem 50. Jahrestag des Olympia-Attentats von 1972 hat die Bundesregierung nach langem Streit eine Einigung mit den Familien der israelischen Opfer erzielt. Diese sieht neben weiteren finanziellen Zahlungen auch Komponenten zur Aufarbeitung der misslungenen Geiselbefreiung mit insgesamt zwölf Toten vor. Das teilten Regierungssprecher Steffen Hebestreit und der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) am Mittwoch mit. Der Jurist Baum hatte zusammen mit Kollegen einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei die Hinterbliebenen in den Verhandlungen vertreten. Damit werden die Hinterbliebenen nun voraussichtlich zur Gedenkveranstaltung am kommenden Montag nach Deutschland kommen.

Hebestreit sprach in einer Mitteilung von einer „Gesamtkonzeption“ und erklärte: „Dazu zählen die Aufarbeitung der Geschehnisse durch eine Kommission deutscher und israelischer Historiker, die rechtskonforme Freigabe von Akten, die Einordnung und Übernahme von politischer Verantwortung im Rahmen der Gedenkveranstaltung sowie die Bereitstellung weiterer Anerkennungsleistungen durch den Bund, durch das Land Bayern und durch die Stadt München.“ Eine Summe für die Entschädigungsleistungen nannte er nicht.

Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr, war zuletzt ein Betrag von 28 Millionen Euro im Gespräch gewesen. Davon sollte der Bund 22,5 Millionen, das Land Bayern 5 Millionen und die Stadt München 500 000 Euro tragen.

Die Präsidenten Deutschlands und Israels, Frank-Walter Steinmeier und Izchak Herzog, zeigten sich „froh und erleichtert“ über die Vereinbarung. „Die Einigung kann nicht alle Wunden heilen. Aber sie öffnet eine Tür aufeinander zu“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. „Mit dieser Einigung bekennt der deutsche Staat seine Verantwortung und erkennt das furchtbare Leid der Ermordeten und ihrer Angehörigen an, dessen wir kommende Woche gedenken wollen.“

Baum sagte der dpa: „Die Vereinbarung ermöglicht auch eine würdige Gedenkfeier am 5. September in Anwesenheit der Präsidenten Izchak Herzog und Frank-Walter Steinmeier und vor allem in Anwesenheit der Hinterbliebenen, die sich unter den neuen Umständen bereit erklärt haben, an der Feier teilzunehmen.“ Sie enthalte nicht nur materielle und immaterielle Anerkennungsleistungen. „Ebenso wichtig ist den Angehörigen die Aufarbeitung des damaligen Geschehens - jetzt unter Offenlegung aller Quellen.“

Am 5. September 1972 hatten palästinensische Terroristen bei den Olympischen Spielen in München die israelische Mannschaft überfallen. Elf Mitglieder des Teams und ein Polizist wurden bei der misslungenen Befreiungsaktion der Polizei am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck bei München getötet. Die Sicherheitsvorkehrungen galten als mangelhaft. Um eine angemessene Entschädigung für die Hinterbliebenen der Opfer des Attentats wurde seit Jahrzehnten gerungen. Sie fordern auch eine Entschuldigung.

1972 und 2002 hatte Deutschland rund 4,6 Millionen Euro als humanitäre Geste für die Betroffenen gezahlt. Hinzu kamen rund eine halbe Million Euro des Nationalen Olympischen Komitees und Spenden des Deutschen Roten Kreuzes. 1994 forderten Opferfamilien vor Gericht 40 Millionen Mark (rund 20,45 Millionen Euro) Schadenersatz und begründeten dies mit massiven Fehlern während des Polizeieinsatzes. Die Klage scheiterte wegen Verjährung.

Am kommenden Montag - dem 50. Jahrestag des Attentats - soll in Fürstenfeldbruck der Ermordeten gedacht werden. Die Opferfamilien wollten die Veranstaltung wegen der ausbleibenden Einigung boykottieren.

Die Auseinandersetzung überschattete auch den am Sonntag beginnenden Staatsbesuch des israelischen Präsidenten Herzog in Deutschland. Er wäre ohne die Angehörigen wohl nicht zu der Gedenkveranstaltung gekommen. Nun dürfte er sie zusammen mit Steinmeier besuchen. Es wird erwartet, dass der Bundespräsident sich dabei zur Verantwortung Deutschlands für die Geschehnisse bekennen und die Hinterbliebenen um Entschuldigung bitten wird.

Regierungssprecher Hebestreit erklärte, mit der Vereinbarung komme die Bundesrepublik ihrer historischen Verpflichtung gegenüber den Opfern und deren Hinterbliebenen nach. „Sie schafft nach nunmehr 50 Jahren die Voraussetzungen, ein schmerzhaftes Kapitel in der gemeinsamen Geschichte aufzuarbeiten, angemessen zu würdigen, und legt die Grundlage für eine neue lebendige Erinnerungskultur.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, die Bundesrepublik komme nun ihrer historischen Verpflichtung gegenüber den Opfern und deren Hinterbliebenen nach. „Sie schafft nach nunmehr 50 Jahren die Voraussetzungen, ein schmerzhaftes Kapitel in der gemeinsamen Geschichte aufzuarbeiten, angemessen zu würdigen, und legt die Grundlage für eine neue lebendige Erinnerungskultur.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, betonte, die von deutscher Seite gemachten Fehler und Unzulänglichkeiten könnten und sollten nicht vergessen werden. „Aber es ist anzuerkennen, dass sich die politisch Verantwortlichen der Gegenwart der Verantwortung und den Fehlern der Vergangenheit gestellt haben.“

Für die bayerische Landesregierung zeigte sich Staatskanzleichef Florian Herrmann erfreut, „dass nun ein gemeinsames Gedenken anlässlich dieses historisch schrecklichen Anschlags möglich sein kann“. Der stellvertretende Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, betonte: „Die Gedenkfeier kann und muss als Ausgangspunkt einer umfassenden Aufarbeitung der Ereignisse sowie einer politischen Neubewertung, Einordnung und Erinnerung an die Ereignisse aus heutiger Perspektive dienen.“

(mzu/dpa)
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