Kurz vor Ende der Waffenruhe Kurdische Truppen offenbar aus Nordsyrien abgezogen

Damaskus · Zehntausende kurdische Kämpfer sind aus Nordsyrien abgerückt. Sie halten sich damit an eine Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei. Dass Ankara die Offensive wieder aufnimmt, scheint somit erst einmal abgewendet.

Mitglieder der kurdischen Sicherheitskräfte stehen auf ihrem Fahrzeug in Syrien.

Mitglieder der kurdischen Sicherheitskräfte stehen auf ihrem Fahrzeug in Syrien.

Foto: dpa/Hussein Malla

Die Kurdenmiliz YPG ist nach Angaben des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu kurz vor Ablauf einer Waffenruhe aus Nordsyrien abgezogen. Nun hätten dort syrische Grenztruppen und die russische Militärpolizei die Kontrolle übernommen, sagte Schoigu der Agentur Interfax zufolge am Dienstag.

Eine zwischen Russland und der Türkei vereinbarte Waffenruhe endete offiziell um 18.00 Uhr Ortszeit (16.00 Uhr MEZ). Sie dürfte nun weiter gelten. Anders als Russland äußerte sich die türkische Führung vorsichtiger. „Wir werden durch gemeinsame Patrouillen feststellen, ob sich die Terroristen tatsächlich zurückgezogen haben oder nicht“, teilte der Kommunikationsdirektor des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Fahrettin Altun, auf Twitter mit.

Die humanitäre Lage in Nordsyrien ist laut Welternährungsprogramm (WFP) verheerend. „Viele Menschen mussten fliehen und ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen. Sie sagen, sie brauchen vor allem Nahrung, Medikamente, Garderobe und andere nötige Dinge des täglichen Bedarfs“, sagte WFP-Sprecher Hervé Verhoosel in Genf. Von den 180 000 Menschen, die nach dem türkischen Einmarsch am 9. Oktober vertrieben worden waren, seien 106 000 weiter auf der Flucht. Die Hilfsorganisation habe seitdem in der Region mehr als 300 000 Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt.

Die Kurdenmiliz YPG sollte sich während der Waffenruhe aus einem Streifen von 30 Kilometern Tiefe im syrisch-türkischen Grenzgebiet zurückziehen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat immer wieder gedroht, die Offensive gegen die YPG fortzusetzen, sollte die YPG nicht komplett abziehen.

Das türkische Militär war mit verbündeten Rebellen am 9. Oktober in Nordsyrien einmarschiert und hatte eine Offensive gegen die YPG begonnen. Ankara betrachtet sie als Terrororganisation. Russland als Schutzmacht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und die Türkei hatten sich dann vergangene Woche darauf verständigt, nordsyrische Grenzgebiete zur Türkei gemeinsam zu kontrollieren. Sie gaben der YPG zudem eine Frist von 150 Stunden, um sich zurückzuziehen. In dieser Zeit galt eine Feuerpause.

Trotz der Waffenruhe gab es immer wieder Kämpfe im Grenzgebiet. Erstmals kam es auch zu Gefechten zwischen syrischen Regierungstruppen und mit der Türkei verbündeten Rebellen, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag mitteilte. Dabei seien sechs syrische Sicherheitskräfte in der Nähe von Ras al-Ain durch türkischen Beschuss verletzt worden. Zuvor seien bei Kämpfen sieben Soldaten der syrischen Armee und vier mit der Türkei verbündete Rebellen getötet worden.

Am Sonntag war nach Angaben aus Ankara bei Beschuss durch die YPG mindestens ein türkischer Soldat in Nordsyrien getötet und mehrere verletzt worden.

Für die USA waren die von der YPG geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) ein wichtiger Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der Abzug von US-Truppen aus Nordsyrien hatten den Einmarsch der Türkei erst möglich gemacht. Ankara begründet das Vorgehen mit dem Recht auf Selbstverteidigung. Die Bundesregierung hält den Einmarsch dagegen für völkerrechtswidrig.

Bundesaußenminister Heiko Maas forderte noch kurz vor Ablauf der Frist am Dienstag eine Verlängerung der Waffenruhe. Er sagte, es gebe Anzeichen dafür, dass die Zeit genutzt wurde, um „gegenseitige Zusagen umzusetzen“.

Das türkische Militär war mit verbündeten Rebellen Anfang Oktober zunächst in den syrischen Grenzstädten Ras al-Ain und Tall Abjad einmarschiert. Moskau und Ankara hatten vergangene Woche auch vereinbart, dass in dem rund 120 Kilometer langen Gebiet dazwischen der „Status quo“ erhalten bleiben soll, also die Türkei faktisch die Kontrolle behält. Die Türkei fordert seit langem eine sogenannte Sicherheitszone in Nordsyrien. Erdogan will in dieser Zone Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln.

(atrie/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort