Wahl in Österreich Kurz steht vor einer schweren Bewährungsprobe

Wien · Sebastian Kurz bleibt Österreichs Kanzler, steht aber vor einer komplizierten Regierungsbildung. Große Gewinner sind auch die Grünen. Krachend verloren hat die FPÖ.

Die Bilder vom Wahltag in Österreich
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Foto: dpa/Peter Lechner

Der Jubel in der ÖVP-Parteizentrale unweit des Parlaments, in der Wiener Lichtenfeldgasse, wollte kein Ende nehmen, als am Sonntag die erste Hochrechnung über die Bildschirme flimmerte. Wenig später trat Sebastian Kurz vor seine Anhänger. Der eloquente, nie um Worte verlegene Parteichef der konservativen ÖVP stammelte angesichts seines Triumphs: „Ich bin fast sprachlos. Ich bin unendlich dankbar für diesen Vertrauensbeweis.“

Das Ergebnis – 37,1 Prozent der Stimmen, ein Plus von 5,7 Prozentpunkten gegenüber 2017 – kam doch etwas überraschend. Letzte Umfragen sahen die ÖVP zwischen 32 und 35 Prozent. Trotz einiger Pannen absolvierte Kurz einmal mehr einen seiner typischen Wahlkämpfe, die ganz auf ihn zugeschnitten sind: Die Partei spielte kaum eine Rolle, keiner ihrer Granden drängte sich in den Vordergrund. Die ÖVP ließ allein den 33-jährigen Altkanzler glänzen.

Dass die ÖVP, seit Kurz vor zwei Jahren Parteichef wurde, nicht mehr wiederzuerkennen ist, stört offenbar niemanden. Durch die raschen Erfolge von Sebastian Kurz – mit 24 Jahren Staatssekretär, mit 27 Außenminister, mit 31 Bundeskanzler – ist diese traditionelle Unternehmer-, Bauern- und Beamtenpartei zu einem geschlossenen Kurz-Jubelverein geworden.

Doch Kurz ist an einem Wendepunkt angelangt. Sein politisches Ausnahmetalent, ausgestattet mit sicherem Gespür für aktuelle Stimmungen im Land und einem für sein Alter erstaunlich kaltschnäuzigen Machtwillen, hat er hinreichend bewiesen. Doch woran es ihm laut vielen Beobachtern vor allem fehlt, ist die charakterliche Reife, mit der Machtfülle eines Bundeskanzlers verantwortungsbewusst umzugehen.

Jetzt steht er vor seiner bislang schwersten Bewährungsprobe. Seine Wahlbotschaft „Unser Weg hat erst begonnen“ kann Kurz vergessen. Dieser Weg, der vor zwei Jahren zu mehr Polarisierung geführt hatte, ist nunmehr durch das Wahlergebnis blockiert. Denn eine Neuauflage mit den rechten „Freiheitlichen“ ist praktisch ausgeschlossen. Die FPÖ stürzte unter ihrem neuen Parteichef Norbert Hofer von 26 auf 16 Prozent der Stimmen ab. Die Verluste ziehen sich quer durch alle früheren FPÖ-Hochburgen wie die Wiener Außenbezirke und die Steiermark. Noch am Wahlabend kündigte Hofer an: „Wir bereiten uns auf die Opposition vor.“

Damit ist der scheinbar unaufhaltsame Siegeszug der Rechtspopulisten in Österreich vorerst gestoppt und die FPÖ auf ihren harten Kern zusammengeschmolzen. Doch die Gründe dafür haben nicht die politischen Gegner geliefert, es war die FPÖ selbst. Das Wahlergebnis ist die Rechnung für ihren Affärensumpf – Nazi-Exzesse, das Ibiza-Video und kurz vor der Wahl ein vermeintlicher Spesenskandal des Ex-Parteichefs Heinz-Christian Strache waren vielen Wählern zu viel, sie kehrten reuig zu Kurz und seiner ÖVP zurück.

Kurz muss sich jetzt andere Koalitionspartner suchen, und keiner wäre einfach. Da sind in erster Linie die Grünen, mit 14 Prozent die zweiten großen Gewinner dieser Wahl. Die globale Klimakrise hat daran wohl einen großen Anteil. Doch zuvor musste der bullige Parteichef Werner Kogler die Öko-Partei nach ihrem Rauswurf aus dem Parlament vor zwei Jahren innerhalb kurzer Zeit völlig neu aufstellen. Schwarz-Grün käme mit 98 Abgeordneten (von 183) auf eine klare Mehrheit, doch Kurz ist für die Grünen geradezu ein Feindbild.

Auf Landesebene hat sich eine schwarz-grüne Partnerschaft wie zum Beispiel in Tirol bereits bewährt. Kogler, 57, der manchmal eher wie ein etwas zerstreuter Gelehrter wirkt als wie ein scharfzüngiger Umweltaktivist, gilt als durchaus aufgeschlossen. Allerdings hat er im Wahlkampf die Wahrscheinlichkeit eines schwarz-grünen Bündnisses mit nur fünf Prozent bezeichnet. „Wir brauchen Zeichen der Umkehr“, sagte Kogler – und meint eine nötige Kursänderung in der Umweltpolitik. Auch Teile der Grünen in Wien gelten als äußerst skeptisch und können mit Kurz gar nichts anfangen.

Auch die Sozialdemokraten (SPÖ) empfehlen sich mit ihrer historischen Niederlage (knapp 22 Prozent) nicht als Koalitionspartner, obwohl Schwarz-Rot eine satte Mehrheit von 112 Sitzen hätte. Sowohl in der SPÖ als auch in der ÖVP – nach vielen gemeinsamen Regierungen seit 1945 einander herzlich spinnefeind – gibt es Stimmen, die „pragmatischen Gesprächen“ nicht abgeneigt sind und für die Rückkehr der Sozialpartnerschaft plädieren.

Die 48-jährige Ärztin Pamela Rendi-Wagner hatte zwar höchst engagiert für die SPÖ gekämpft, war dem versierten Kurz aber auch bei den TV-Duellen unterlegen. Die zuletzt demonstrierte Geschlossenheit der oft zerstrittenen Sozialdemokraten hatte nicht verfangen. Trotzdem schloss SPÖ-Geschäftsführer Thomas Drozda am Wahlabend personelle Konsequenzen aus. Auch Rendi-Wagner gab sich entschlossen und sagte: „Ich freue mich, mit euch diesen Weg weiterzugehen.“

Die wirtschaftsliberale Partei Neos blieb mit 7,8 Prozent hinter den Erwartungen zurück und ist für eine Zweierkoalition nicht mehrheitsfähig. Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger zeigte sich entsprechend enttäuscht. (mit dpa)

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