Truppenaufstockung oder gezielte Schläge? Obamas Afghanistan-Dilemma

Washington (RP). Der US-Präsident muss sich entscheiden: Stockt er seine Truppen auf mehr als 100.000 Soldaten am Hindukusch auf oder setzt er auf gezielte Schläge gegen die Taliban. Die Angst vor einem zweiten Vietnam schwingt mit.

Chronik: Schlüsseldaten zu Afghanistan
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Foto: AFP

Es kommt nicht oft vor, dass sich Barack Obama im Situation Room ablichten lässt. Dort, im Souterrain des Weißen Hauses, trifft sich der Präsident mit seinem Küchenkabinett, um Krisenszenarien durchzugehen. An den Wänden hängen sechs Flachbildschirme, auf denen sich Verbündete und Berater aus aller Welt zur Videokonferenz zuschalten lassen. Der Raum ist schalldicht und abhörsicher und für Fotografen in aller Regel tabu.

In diesen Wochen hat Obama gleich zweimal Reporter bestellt, das optische Signal war ihm wichtig. Im Situation Room gibt es zurzeit kein brennenderes Thema als Afghanistan. Die Meinungen prallen aufeinander, die Debatte dauert, weil der Hausherr nichts überstürzen möchte. Er legt Wert auf den Streit der Argumente, gründlich und kontrovers, nur eben strikt hinter verschlossenen Türen.

Also sollen die bestellten Bilder aus dem Lageraum all jene zur Ordnung rufen, die der Öffentlichkeit schon jetzt neue Kriegspläne vorstellen. Vorschnell, wie Obama findet. Mit der Ruhe ist es vorbei, seit der Afghanistan-Kommandeur Stanley McChrystal Ende August einen düsteren Bericht vorlegte. Ein Mitwisser im Pentagon ließ das Papier an die Presse durchsickern, es war ein dramatischer Hilferuf.

Ohne neue Truppen kein Sieg gegen die Taliban?

Ohne frische Truppen, so die Quintessenz, lasse sich die Schlacht gegen die Taliban nicht gewinnen. Vor ein paar Tagen legte McChrystal nach. Als Redner in London warnte er vor einem Konzept, das nur darauf abzielt, die Terrornester Al-Qaidas zu bekämpfen. Man möge bitte den Dienstweg einhalten, mahnte Robert Gates, der Verteidigungsminister.

Nach allem, was man weiß, rät McChrystal, die Truppe um 40.000 Mann zu verstärken. Das würde bedeuten, dass bald mehr als 100.000 US-Soldaten am Hindukusch stehen, gut das Doppelte dessen, was Obama von seinem Vorgänger George W. Bush übernahm. Einflussreiche Senatoren wie John McCain und Joe Lieberman fürchten ein Vakuum wie in den neunziger Jahren. Der Kalte Krieg war gewonnen, die Sowjetunion zusammengebrochen, Afghanistan plötzlich unwichtig.

"Nicht noch einmal!”, predigen die beiden und reden einer deutlichen Aufstockung das Wort. Ob es der Präsident genauso sieht, ist keineswegs sicher. Joe Biden, Obamas Vize, warnt eindringlich vor dem Sumpf, in dem man zu versinken droht. Nach einem Bericht des Magazins "New Republic” hält es der weltläufige Veteran für klüger, sich auf Schläge gegen Al Qaida zu konzentrieren.

Er empfiehlt Kommandoaktionen von Spezialkräften, keine flächendeckende Militärpräsenz. Dann ist da noch, fast täglich zitiert, das V-Wort. Vietnam. McChrystal wird oft mit William Westmoreland verglichen, der glaubte, die Partisanen rasch besiegen zu können, wenn er nur mehr Soldaten hätte. Von 1966 bis 1968 wuchs das amerikanische Kontingent in Vietnam von 200.000 auf fast 540.000 Mann, ohne etwas am Ausgang des Krieges zu ändern.

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