Vor Moskau-Reise Obama stellt Putin bloß

Washington/Moskau (RPO). Harte Worte vor der "Mission to Moscow": Wenige Tage vor seiner Reise in die russische Hauptstadt hat US-Präsident Barack Obama Russlands Ministerpräsidenten Wladimir Putin attackiert. Der Demokrat charakterisierte den Premier als Mann des Althergebrachten, dem er klarmachen wolle, dass "der Kalte Krieg vorbei ist". Hat sich Obama damit einen Gefallen getan?

Obama und Medwedew gehen auf Tuchfühlung
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Obama und Medwedew gehen auf Tuchfühlung

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Als Obama in einem Interview mit AP-Korrespondentin Jennifer Loven die russische Führung am Donnerstag aufforderte, die Mentalität des Kalten Kriegs hinter sich zu lassen, zielten seine Aussagen insbesondere auf Ministerpräsident Putin ab. Obama hielt Russlands früherem Präsidenten vor, zum Teil noch im alten Denken verhaftet zu sein.

Bei seinen Gesprächen in Moskau wolle er Putin klarmachen, dass die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten nicht mehr "nach Art des Kalten Krieges" funktionierten, sagte der US-Präsident im Weißen Haus. Obama als Lehrmeister für Russlands mächtigsten Mann? Ein Affront für Putin.

Gleichzeitig betonte Obama auch noch, die USA entwickelten zu Russlands Präsident Dmitri Medwedew ein "sehr gutes Verhältnis". Besonders lobte er die Fortschritte bei der atomaren Abrüstung. Beim G-20-Gipfel in London im April hatten sich Obama und Medwedew im Rahmen eines Treffens blendend verstanden und umgehend Gespräche über eine "gemeinsame internationale Zusammenarbeit" bei der Raketenabwehr sowie der atomaren Abrüstung vereinbart.

Obama hat nun ein Signal gegeben. Medwedew ist der Mann, mit dem der US-Präsident seine Visionen in den amerikanisch-russischen Beziehungen Realität werden lassen möchte. Putin steht für das alte Russland, Obama symbolisiert in den USA dagegen einen Neuanfang. Zwei Bilder, die schlecht zusammenpassen. Anscheinend sieht Obama in Medwedew den liberaleren, moderneren Politiker, mit dem die größeren Durchbrüche erreicht werden können.

Der US-Präsident riskiert mit seinen Anspielungen allerdings viel, bis hin zu einer tiefen Belastung im Verhältnis zu Moskau. Schließlich ist Putin für zahlreiche Experten noch immer der heimliche Chef im Kreml. Das weiß Obama auch. Nach seiner Einschätzung hält Putin auch nach dessen Ausscheiden aus dem Präsidentenamt im vorigen Jahr noch (zu) viele Fäden in der Hand. Putin "hat immer noch Einfluss", sagte Obama. Fast hat man den Eindruck, Obama hege einen Funken Abneigung gegen den Ministerpräsidenten.

Tiefes Misstrauen ist geblieben

Ein Blick zurück: Als Obama im August 2005 als Mitglied einer Senatsdelegation erstmals Russland besuchte, hielten Provinzbeamte die US-Senatoren am Flughafen der Ural-Stadt Perm drei Stunden fest, um in aller bürokratischen Gründlichkeit die Reisedokumente zu prüfen. Der russische Präsident hieß damals Putin.

Am Montag kommt Obama als US-Präsident zurück, der Kreml wird ihn prunkvoll empfangen. Russlands tiefes Misstrauen aber ist geblieben, es prägt die Beziehungen, die für die Sicherheitsarchitektur in Europa entscheidend sind.

Obamas Mitarbeiter im Weißen Haus bemühen sich gar nicht erst, die Lage schönzureden. "Es gibt ein großes Problem in den amerikanisch-russischen Beziehungen", urteilt Michael McFaul, der Russland-Berater des US-Präsidenten. Argwohn und Konkurrenzdenken seien im Kreml so mächtig, dass sie einen Neuanfang in den Beziehungen zu Washington blockierten. "Die USA werden als Gegner betrachtet", sagt McFaul. Der Kreml glaube, "dass es unser oberstes Ziel sei, Russland zu schwächen und Russland einzukreisen."

Das Misstrauen wurzelt in einer langen Geschichte der Rivalität, die sich in den vergangenen Jahren erneut verschärfte. Nur widerwillig nahm Kreml-Chef Wladimir Putin die Ausdehnung der Nato bis an Russlands Grenzen hin. Eine Mitgliedschaft der Ex-Sowjetrepubliken Georgien und Ukraine lehnt Russland rundweg ab, ebenso die Stationierung einer US-Raketenabwehr in Osteuropa. Russland intensiviert derweil demonstrativ seine Beziehungen zu USA-Gegnern wie Iran, Kuba und Venezuela. Überall lauern also potenzielle Konflikte.

Moskauer Großmachtstreben

Nach Moskauer Sicht der Dinge stehen die USA dem Prestigeprojekt von Ministerpräsident Putin und Präsident Medwedew im Wege. Nach dem demütigenden Niedergang der Sowjetunion wollen sie Russland wieder als Großmacht etablieren. Ihr Anspruch auf eine russische Interessensphäre in Osteuropa, im Kaukasus und in Zentralasien kollidiert freilich laufend mit den Interessen der USA.

Im Krieg gegen den US-Verbündeten Georgien im August 2008 demonstrierte Russland seine Bereitschaft, seine Politik der Einflusssphären notfalls durch militärische Eskalation durchzusetzen. Auch rhetorisch hält sich Moskau nicht zurück. "Der Kalte Krieg ist auf dem Weg zu einem Ende, er ist aber noch nicht zu Ende", warnte Konstatin Kosatschjow, der Chef des Außenausschusses im russischen Parlament, wenige Tage vor Obamas Besuch.

Das Gespenst des Kalten Kriegs will Obama austreiben, indem er Moskau die Zusammenarbeit anbietet etwa bei Terrorbekämpfung oder Energiesicherheit. Einen ersten Erfolg erhofft er sich im Bereich Abrüstung, die er nach jahrelangem Stillstand neu beleben will. Im Dezember läuft der START-I-Vertrag aus, der die Zahl nuklearer Sprengköpfe auf beiden Seiten auf 6000 begrenzt. Obama will diese Zahl in einem Nachfolgeabkommen weiter verringern. Der Haken: Russland will nur dann abrüsten, wenn die USA auf die Raketenabwehr in Osteuropa verzichten oder diese gemeinsam mit Moskau aufbauen.

Obama wird also brillant verhandeln und Zugeständnisse machen müssen, wenn er am Montag mit Medwedew und am Dienstag mit Putin zusammenkommt, den viele in Washington als wahren Machthaber in Russland ansehen. Auf Obamas Wunschliste steht außerdem die Mithilfe Moskaus im Umgang mit den Atomambitionen des Iran und Nordkoreas.

Obamas Visite wird ein Balanceakt, prophezeit Russland-Experte Andrew Kuchins vom Center of Strategic and International Studies (CSIS) in Washington. "Putin fühlt sich ständig vom Westen gedemütigt", sagt Kuchins. "Das macht ihn nicht gerade zu einem einfachen Gesprächspartner."

Nach den neuerlichen Aussagen des US-Präsidenten dürfte diese Einschätzung mehr denn je zutreffen.

mit Material von AFP.

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