Entscheidende Stunden in Washington Obama martert die Abweichler

Düsseldorf (RPO). Für US-Präsident Barack Obama geht es in diesen Stunden um Alles oder Nichts. Mit der Abstimmung über die Gesundheitsreform entscheidet sich am Wochenende, ob er in den Augen der Amerikaner als Versager in die Geschichte eingeht - oder als starker Präsident. Gefahr droht Obama vor allem aus den Reihen der eigenen Partei. Der Präsident kümmert sich persönlich um die Abweichler.

Wie Radikale Obama dämonisieren
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Düsseldorf (RPO). Für US-Präsident Barack Obama geht es in diesen Stunden um Alles oder Nichts. Mit der Abstimmung über die Gesundheitsreform entscheidet sich am Wochenende, ob er in den Augen der Amerikaner als Versager in die Geschichte eingeht - oder als starker Präsident. Gefahr droht Obama vor allem aus den Reihen der eigenen Partei. Der Präsident kümmert sich persönlich um die Abweichler.

In den USA spielt sich ein Kulturkampf ab. Mit seinen ehrgeizigen Plänen für die Reform des Gesundheitssystems hat Barack Obama das Land gespalten und den nach der Wahl bereits politisch totgesagten Republikanern zur Wiederauferstehung verholfen. Sie fühlen sich so stark wie lange nicht und wissen zumindest im Bereich der Gesundheitspolitik die Mehrheit der Amerikaner hinter sich. Obama dämonisieren sie mit Vorliebe als Sozialisten. Auf den Protestveranstaltungen der Rechten schwenken Demonstranten seit Monaten Schilder, die Obama mit Hitlerbärtchen zeigen.

An der Gesundheitsreform scheiden sich die Geister. In 14 Monaten hat sie aus Amerika ein geteiltes Land gemacht. Den einen gilt sie als diktatorischer Auswuchs staatlicher Bevormundung, den anderen als längst überfällige Reform für ein hoffnungslos überteuertes und Gesundheitswesen im Siechtum. Doch verlaufen zu Obamas Leidwesen die Fronten in dem Konflikt nicht einheitlich.

Ein ausgeprägter Überlebenstrieb

Die Republikaner werden das Vorhaben, über das am Sonntag abgestimmt werden soll, geschlossen ablehnen. "Wir werden alles versuchen, damit dieses Gesetz nie-, nie-, niemals verabschiedet wird", sagte ihr Fraktionschef John Boehner. Anders sieht es bei den Demokraten aus. Viele Abgeordnete haben Vorbehalte. Dem linken Flügel ist die Reform bereits mit zu viel Kompromissen durchsetzt, Abtreibungsgegner wünschen sich weitere Einschränkungen.

Hinzu kommt der auch im politischen Betrieb der USA ausgeprägte Überlebenstrieb: Viele Demokraten haben Angst davor, vom Wähler abgestraft zu werden, sollten sie am Sonntag im Repräsentantenhaus die Gesundheitsreform durchwinken. Im November stehen die nächsten Kongresswahlen an. Die Frage sei weniger, wer dafür stimmt, sondern wem es erlaubt sein wird, zu den Abweichlern zu zählen, unkt vielsagend die New York Times. 216 Stimmen braucht Obama, 253 demokratische Abgeordnete sitzen im parlamentarischen Unterhaus.

"Ich brauche diesen Sieg"

Für Obama geht es um seine politische Zukunft. "Ich brauche diesen Sieg, um ein starker Präsident zu bleiben", wird er in politischen Blogs der USA zitiert. Ein Nein würde ihn frühzeitig zur einer "lame duck", einem Präsidenten ohne Autorität machen. Obama stünde da als einer, der viel verspricht, aber nicht umsetzen kann. Mit einem Ja könnte er sich endlich seinen nächsten Großbaustellen widmen, die den Amerikanern nicht weniger abverlangen würden: Klimaschutz, Exportoffensive, nukleare Abrüstung.

Darum hat sich Obama nun höchstpersönlich in den politischen Nahkampf eingeschaltet. Die seit Monaten fest geplante Reise nach Indonesien und Australien wurde auf den Juni verschoben. Obama hat Wichtigeres zu tun. Er muss die Abweichler auf Linie zu bringen.

Vieraugengespräch in der Air Force One

Das geschieht mit beachtlicher Methodik: Einzelgesprächen, Gruppendruck von der Fraktionsführung und notfalls einem Termin beim Präsidenten. Den demokratischen Hinterbänkler Jason Altmire nahm Obama in drei langen Telefonaten ins Gebet, den Partei-Linken Dennis Kucinich bat er er zu einem vertraulichen Vieraugen-Gespräch in die Air Force One. Der hat sich jetzt zähneknirschend zu einem Ja bereit erklärt.

Nun geht es in die entscheidenden Stunden. Die Telefondrähte in Washington glühen. 20 Stimmen fehlen noch, wird aus Washington kolportiert. Am Freitag wurde der umfassende Reformplan für die Gesundheitsreform im Netz veröffentlicht. Grundlage der Abstimmung im Repräsentantenhaus ist eine Fassung, die der Senat, das US-Oberhaus, bereits kurz vor Weihnachten verabschiedet hat.

Zu allem entschlossen

Das Abstimmungsverfahren zeigt, dass Obama zu allem entschlossen ist. Um das Vorhaben durchzuboxen bedient er sich einer höchst umstrittenen Methode, dem so genannten "Reconciliation"-Verfahren. Damit nimmt das demokratische Lager den Republikanern auf trickreiche Weise die Möglichkeit, das Gesetz zu blockieren. Die wiederum toben und werfen den Demokraten vor, die Regelung zu missbrauchen. Kritiker sprechen von einem "legislativen Amoklauf", der das Zeug hat, das politische System der USA zu sprengen.

Tatsächlich steht in diesem Fall hinter dem "Reconciliation"-Verfahren ein großes Fragezeichen. Ursprünglich war es lediglich für Gesetze gedacht, bei denen es lediglich um die Auswirkungen auf den Staatshaushalt geht. Die Gesundheitsreform ist aber keine fiskalische Nachbesserung einer bestehenden Regelung, sondern eine Revolution für die USA, bei der über Billionen entschieden wird. Die Republikaner haben bereits mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht gedroht.

Barack Obama will sich mit solchen verfassungsrechtlichen Bedenken gar nicht erst befassen. "Ich verbringe nicht viel Zeit damit, mir Sorgen über Verfahrensregeln im Repräsentantenhaus oder Senat zu machen", ließ der Präsident am Mittwoch in einem TV-Interview wissen.

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