Militäroffensive fordert weitere Opfer Zehn Tote bei türkischem Luftangriff auf zivilen Konvoi in Nordsyrien

Beirut · Die türkische Offensive in Nordsyrien hat offenbar am Sonntag weitere zivile Opfer gefordert. Bei einem Luftangriff auf einen Konvoi mit Zivilisten und ausländischen Journalisten sind laut einer Aktivistengruppe zehn Menschen getötet worden.

 Aus der syrischen Grenzstadt Ras al-Ain steigt nach türkischen Angriffen Rauch auf.

Aus der syrischen Grenzstadt Ras al-Ain steigt nach türkischen Angriffen Rauch auf.

Foto: AFP/OZAN KOSE

Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte, traf der Angriff den Konvoi in der nordsyrischen Grenzstadt Ras al-Ain. Damit sei die Zahl der zivilen Opfer der türkischen Offensive am Sonntag auf mindestens 26 gestiegen.

Die französische Journalistin Stephanie Perez schrieb auf Twitter, sie sei in dem Konvoi gewesen. Ihrem Team gehe es gut, doch Kollegen seien tot. Die Beobachtungsstelle sprach von einem toten Journalisten, konnte aber keine Angaben zu seiner Identität machen. Das türkische Verteidigungsministerium betont angesichts von Berichten über getötete Zivilisten immer wieder, dass alle möglichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergriffen würden.

Am Nachmittag hatte die Bundesregierung mitgeteilt, dass Kanzlerin Angela Merkel in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf die "umgehende Beendigung der Militäroperation" der Türkei in Nordsyrien gedrungen habe. "Ungeachtet berechtigter türkischer Sicherheitsinteressen drohe diese zur Vertreibung größerer Teile der lokalen Bevölkerung, zur Destabilisierung der Region und zur Wiedererstarkung des IS zu führen", habe Merkel gesagt.

Am Abend haben Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron von der Türkei ein Ende der Militäroffensive in Syrien verlangt. Die humanitären Folgen der Offensive seien "gravierend" und es bestehe die Gefahr, dass die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) wieder erstarke, sagte Merkel am Sonntagabend vor einem Arbeitsessen mit Macron im Elysée-Palast.

Die militärische Situation eskaliert unterdessen weiter: Als Reaktion auf die türkische Offensive im Norden entsendet die syrische Armee nach Angaben von Staatsmedien Truppen in das Gebiet. Die Armee werde sich der türkischen "Aggression" entgegenstellen, meldete die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana am Sonntag. Nähere Details zu der Mobilmachung wurden zunächst nicht genannt.

Derweil sind im umkämpften Nordosten Syriens Hunderte Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat aus einem Lager ausgebrochen. 950 IS-Unterstützer seien am Sonntag entkommen, nachdem sie Wärter angegriffen und Tore gestürmt hätten, berichteten syrisch-kurdische Behörden. Türkische Kampfflugzeuge hätten Dörfer in der Nähe des Lagers angegriffen und Lagerbewohner seien geflohen, als Kämpfe zwischen von der Türkei unterstützten syrischen Kämpfern und kurdischen Kämpfern ausgebrochen seien, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien.

In dem etwa 35 Kilometer südlich der Grenze gelegenen Lager in Ain Issa sind etwa 12.000 Menschen untergebracht, darunter etwa 1000 Frauen und Witwen von IS-Kämpfern und deren Kinder. Dschelal Ajaf, ein ranghoher Mitarbeiter des Lagers, berichtete örtlichen Medien, dass 859 Menschen aus der Abteilung geflohen seien, in der Ausländer untergebracht seien. Einige seien wieder gefangen worden. Unterstützer im anderen Teil des Lagers seien ebenfalls entkommen und verübten Angriffe. Er beschrieb die Lage als „sehr volatil“.

Die syrischen Kurden standen im Kampf gegen die Terrormiliz an der Seite der USA. Die Haftlager könnten sie möglicherweise nicht länger kontrollieren, warnten die Kurden nach Beginn des Einmarschs der türkischen Truppen in Nordostsyrien.

Präsident Donald Trump wies alle US-Soldaten an, sich aus Nordsyrien zurückzuziehen, wie sein Verteidigungsminister Mark Esper mitteilte. Sie sollten sich dem blutigen Konflikt fern halten, der „stündlich schlimmer“ werde. Esper gab zwei Fernsehinterviews. Über die Türken sagte er: „In den vergangenen 24 Stunden erfuhren wir, dass sie wahrscheinlich beabsichtigen, ihren Angriff weiter nach Süden auszudehnen als ursprünglich geplant - und nach Westen.“ Er äußerte die Vermutung, dass die Kurden eine Vereinbarung mit der syrischen Armee und Russland treffen würden, um einen Gegenangriff zur türkischen Offensive zu starten.

Die Lage verschlechtere sich rapide, erfuhr die Nachrichtenagentur AP aus US-Militärkreisen. Durch den Vormarsch der Türkei bestehe die Gefahr, dass US-Soldaten am Boden von den kurdischen Kämpfern abgeschnitten würden, mit denen sie bislang verbündet waren. Die USA und die Kurden hätten nicht mehr die Kontrolle über die Kommunikationsverbindungen.

Mindestens 130.000 Menschen flohen seit Beginn der türkischen Offensive am Mittwoch, wie die Vereinten Nationen meldeten. In der nach Beschuss beschädigten Stadt Hasaka könnten Techniker nicht auf eine Wasserpumpstation zugreifen. Damit hätten 400.000 Menschen Probleme, an Wasser zu kommen - 82.000 davon in Flüchtlingslagern. Die kurdisch geleitete Verwaltung in der Region warnte vor einer humanitären Katastrophe. Wegen der Gefechte kämen weniger Hilfsmittel.

Die Türkei rückte in Syrien vor. Das türkische Verteidigungsministerium twitterte, es habe die Kontrolle über die Hauptfernstraße zwischen Hasaka und dem kurdischen Verwaltungszentrum Ain Issa unter seine Kontrolle gebracht. Um den Ort Suluk wurde schwer gekämpft. Eine türkische Agentur schrieb, mit der Türkei verbündete syrische Kämpfer hätten ihn eingenommen, wohingegen Vertreter der Kurden sagten, die Kämpfe dauerten an.

(felt/dpa/AFP)
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