Nord-Stream-Explosionen Heiße Spur im Sabotagekrimi? Was wir wissen – und was nicht

Berlin · Neue Medienberichte legen nahe, dass der Anschlag auf die Gaspipeline im Herbst 2022 von einer eine proukrainischen Gruppe durchgeführt wurde. Was spricht dafür, was dagegen? Welche Rolle spielt Russland? Ein Faktenüberblick, was bisher bekannt ist.

 Das Gasleck von Nord Stream 1, aufgenommen von der schwedischen Küstenwache.

Das Gasleck von Nord Stream 1, aufgenommen von der schwedischen Küstenwache.

Foto: dpa/Swedish Coast Guard

Spekulationen um die Explosionen von Nord Stream 1 und 2 gibt es seit dem Augenblick, als die ominösen Fotos vom sprudelnden Loch in der Ostsee um die Welt gingen. Ein Unfall als Ursache wurde im Grunde von Anfang an ausgeschlossen. Einen entscheidenden Schritt weiter sollen die Ermittler jetzt, gut fünf Monate nach dem Anschlag, endlich gekommen sein – so berichten es verschiedene internationale Medien. Um welche Informationen es geht und welche (noch) nicht gesichert sind:

Wer berichtet was?

Auf deutscher Seite haben das ARD-Hauptstadtstudio, das ARD-Politikmagazin Kontraste, der SWR und die Wochenzeitung „Die Zeit“ gemeinsam recherchiert. Nach ihren Erkenntnissen, die am Dienstagabend veröffentlicht wurden, ist den deutschen Ermittlungsbehörden insofern ein Durchbruch gelungen, als dass sie rekonstruieren konnten, wie und wann der Sprengstoffanschlag auf die Gaspipelines vorbereitet wurde. „Demnach führen die Spuren in Richtung Ukraine“; schreibt etwa die Zeit.

Auch die „New York Times“ veröffentlichte kurz zuvor ihre Recherchen unter Berufung auf anonyme Quellen in Washington. US-Geheimdienste würden davon ausgehen, dass der Nordstream-Anschlag in der Nacht des 26. Septembers 2022 von einer proukrainischen Gruppe verübt wurde. „US-Beamte erklärten, ihnen lägen keine Beweise dafür vor, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj oder seine obersten Leutnants an der Operation beteiligt waren oder dass die Täter auf Anweisung ukrainischer Regierungsbeamter handelten“, schreibt die New York Times. Um welche Gruppe es sich genau handle und woher die Informationen stammen, lässt das US-Medium offen.

Was ist in der Nacht des 26. September 2022 geschehen?

In der besagten Nacht, zwischen 2 und 3 Uhr nachts, hat es eine Explosion an der noch im Bau befindlichen Ostseepipeline Nord Stream 2 gegeben, unweit der dänischen Insel Bornholm. Einige Stunden später folgte mehr als 60 Kilometer entfernt eine zweite Explosion an den Röhren der Pipeline Nord Stream 1, durch die seit Jahren Gas von Russland nach Deutschland floss. Die deutschen Ermittler konnten laut Berichten von ARD, SWR und Zeit nun offenbar das Boot ausfindig machen, das für die Aktion in der Ostsee verwendet worden sein könnte. Die fragliche Jacht sei von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden, welche „offenbar zwei Ukrainern gehört“, hieß es.

Ein Team, bestehend aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, habe den Sprengstoff laut Ermittlungen zu den Tatorten in der Ostsee gebracht, so die Berichte. Das Boot soll am 6. September 2022 von Rostock aufgebrochen sein. Danach hätten Ermittler es noch in Wieck am Darß im Landkreis Vorpommern-Rügen und an der dänischen Insel Christiansø, nordöstlich von Bornholm ausfindig gemacht. Inzwischen haben außerdem Experten vom Bundeskriminalamt sichergestelltes Material vom Meeresgrund untersucht, wie WDR und „Süddeutsche Zeitung“ berichten. Demnach soll bei den Anschlägen offenbar ein Sprengstoff verwendet worden sein, der vor allem im militärischen Bereich genutzt wird. Zudem soll es Hinweise geben, dass die Explosionen nicht durch Geschosse wie Torpedos verursacht wurden, sondern wahrscheinlich durch Sprengsätze, die außen an den Röhren angebracht wurden.

Welche Fragen bleiben offen?

Viele entscheidende Punkte sind noch unklar: Welchen Nationalitäten gehörte die Besatzung der Jacht tatsächlich an? Haben sie im Auftrag anderer gehandelt und wenn ja in wessen? Welche nationalen oder persönlichen Interessen stecken hinter dem Sabotage-Akt? Klar ist wohl, dass die Beteiligten professionell gefälschte Pässe besaßen, dass sie sehr gut ausgebildet sowie ausgerüstet gewesen sein müssen und eine gute Vor-Ort-Kenntnis hatten. Logistisch sei der Anschlag äußerst anspruchsvoll gewesen, doch alles Weitere über die mutmaßlichen Täter und Auftraggeber seien Spekulationen, betonte der Sicherheitsexperte Manuel Atug am Dienstag im „Deutschlandfunk“. „Es kann theoretisch von jedem Staat unterstützt worden sein.“Nicht einmal dass ein Staat dahinter steckt, ist gesichert.

Den Medienberichten zufolge fanden die Ermittler bislang keinerlei Beweise dafür, wer die Zerstörung in Auftrag gab. Zur Theorie, dass Spuren in die Ukraine führten, twitterte der Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak: “Obwohl ich gerne amüsante Verschwörungstheorien über die Ukraine-Regierung sammle, muss ich sagen: Die Ukraine hat nichts mit dem Ostsee-Unglück zu tun und hat keine Informationen über ,Pro-Sabotagegruppen‘.“

Was sagen deutsche Behörden und Regierungsvertreter?

In Deutschland liegt die Ermittlung seit Anfang Oktober in den Händen der Generalbundesanwaltschaft (GBA), die sich bisher nicht zum aktuellen Stand äußern wollte. Auch der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, verwies lediglich auf die laufenden Ermittlungen des Generalbundesanwalts sowie der Behörden in Schweden und Dänemark. Es gebe „noch keine Ergebnisse“ hieß es. Auch Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich zurückhaltend, man müsse zunächst die Ermittlungen der zuständigen Behörden abwarten. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, er habe die Rechercheergebnisse mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Es gelte abzuwarten, was sich davon wirklich bestätige. „Es könne sich genauso gut um eine False-Flag-Aktion handeln, um proukrainischen Gruppierungen etwas in die Schuhe zu schieben. „Die Wahrscheinlichkeit für das eine wie für das andere ist gleichermaßen hoch", erklärte Pistorius.

Was sagt Russland?

Moskau betrachtet die Berichterstattung mit einer gewissen Genugtuung. Der Kreml macht seit Beginn die Geheimdienste der USA und Großbritanniens für den Pipeline-Anschlag verantwortlich und beklagt erneut, dass sich Russland weiterhin nicht an den Ermittlungen beteiligen dürfe.

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