Frankreich lehnt EU-Verfassung ab "Non"

Paris/Brüssel (rpo). "Non" - das Ergebnis war eindeutig. Fast 55 Prozent der Franzosen haben der EU-Verfassung eine eindeutige Abfuhr erteilt. Damit steckt die Europäische Union wieder einmal mitten in einer Krise. Die Absage gilt besonders als Niederlage für Staatspräsident Jaques Chirac, der direkt eine Regierungsumbildung ankündigte.

Frankreich stimmt mit Nein
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54,87 Prozent der Wähler stimmten beim Referendum am Sonntag gegen das Vertragswerk, nur 45,13 Prozent dafür, wie das französische Innenministerium am Montag bekannt gab. Die EU rief zur Fortsetzung der Ratifizierung in den anderen Staaten auf. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zeigte sich wie viele weitere Regierungschef enttäuscht.

Frankreichs Präsident Jacques Chirac kündigte baldige Entscheidungen über seine Regierung an. Niederlandes Ministerpräsident Jan Peter Balkenende rief seine Landsleute zur Zustimmung zur Verfassung auf. Tausende Nein-Anhänger feierten auf Frankreichs Straßen ihren Sieg.

Für die Annahme des Textes stimmten demnach 12.686.732 Franzosen, dagegen 15.422.659 und damit fast 2,7 Millionen mehr. Die Wahlbeteiligung erreichte landesweit 69,74 Prozent und lag damit knapp höher als beim Referendum zum Maastricht-Vertrag 1992 (69,70 Prozent).

In der Hauptstadt Paris stimmten mehr als 66 Prozent mit Ja. Auch in den meisten anderen Großstädten votierten die Bürger gegen den landesweiten Trend: In Lyon erreichte das Ja 61,35 Prozent, in Straßburg 62,84 Prozent. Die zweitgrößte Stadt des Landes, Marseille, lehnte den Verfassungsvertrag indes mit 61,17 Prozent klar ab.

"Der Prozess der Ratifizierung muss in den anderen Ländern weitergehen", sagte der luxemburgische Ministerpräsident und EU-Ratsvorsitzende Jean-Claude Juncker in Brüssel. "Der Verfassungsvertrag ist nicht tot!" Die Staats- und Regierungschefs würden sich wie geplant Mitte Juni zum Gipfel in Brüssel treffen.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte, die Politiker hätten nicht ausreichend klar machen können, dass der strittige Vorschlag für die EU-weite Liberalisierung der Dienstleistungen nichts zu tun habe mit der Verfassung. Auch bei anderen Punkten in der französischen Verfassungsdebatte sei es zu Missverständnissen gerkommen. Barroso wie Juncker sagten, dass die Ablehnung in Frankreich auch innenpolitische Ursachen habe.

Er werde "in den allernächsten Tagen" eine Entscheidung über die Regierung und deren Prioritäten fällen, sagte Chirac. Allgemein wird mit einer Entlassung von Premierminister Jean-Pierre Raffarin gerechnet. Raffarin bezeichnete das Nein als "tiefe Enttäuschung". Außenminister Michel Barnier sagte, Frankreich wolle zunächst das Ende des Ratifizierungsprozesses abwarten und "dann weiter sehen". Der Chef der Regierungspartei UMP, Nicolas Sarkozy, kündigte eine "entscheidende Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik" an.

Schröder erklärte, der Ausgang des Referendums sei "ein Rückschlag für den Verfassungsprozess, aber nicht sein Ende". Die Ablehnung bedeute "auch nicht das Ende der deutsch-französischen Partnerschaft in und für Europa". Der Ratifikationsprozess in den Mitgliedsstaaten müsse weitergehen."

Auch führende Politiker in Polen, Spanien, Italien und anderen EU-Ländern sprachen sich dafür aus. Großbritanniens Außenminister Jack Straw sagte dagegen, es sei noch nicht klar, ob sein Land wie geplant im kommenden Jahr ein Referendum abhalte.

In Paris kamen in der Nacht zum Montag nach Polizeiangaben rund 3000 Gegner der EU-Verfassung zusammen, um ihren Sieg zu feiern. Vor allem Mitglieder von Gewerkschaften, Kommunisten und des globalisierungskritischen Netzwerks Attac versammelten sich am Bastille-Platz im Osten der Hauptstadt. Sie schwenkten rote Fahnen oder trugen Spruchbänder, auf denen sie ihre Zufriedenheit über die Ablehnung der Verfassung ausdrückten. Im südfranzösischen Toulouse feierten rund 500 Menschen den Sieg des Neins.

"Dieses Resultat gibt den Niederländern einen Grund mehr, mit Ja zu stimmen", sagte Balkenende. Der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen sagte in der ARD, er sei "nicht besonders hoffnungsvoll", was die niederländische Abtimmung angehe. In den Umfragen liegt auch in den Nierderlanden das Nein vorn.

100 Prozent Nein

Vielen Franzosen erschien die EU-Verfassung als kompliziert - für die Bewohner einer kleinen südwestfranzösischem Landgemeinde war die Entscheidung darüber aber eine klare Sache: Sie stimmten zu 100 Prozent mit Nein.

Unter den 26 Wahlberechtigten von Balignac im Département Tarn-et-Garonne nahmen 19 an dem Votum am Sonntag teil. 17 entschieden sich für das Nein, die beiden anderen gaben weiße Wahlzettel für eine Enthaltung ab, wie die örtliche Verwaltung in der Nacht zum Montag mitteilte.

(ap)
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