Analyse Die wütenden Staaten von Amerika

Washington · Schießwütig und rassistisch: So denken nicht nur Schwarze über Amerikas Polizisten. Die Entscheidungen in New York und Missouri, Beamte nicht für ihr tödliches Handeln zu bestrafen, untergraben das Vertrauen in den Rechtsstaat. Im ganzen Land demonstrieren Tausende.

Fall Garner: Proteste in New York City gegen Entscheidung der Geschworenen
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Fall Garner: Proteste in New York gegen Entscheidung der Geschworenen

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Es ist ein Sit-in im Neonlichtermeer, zwischen den häuserwandgroßen Reklametafeln am Times Square. "I can't breathe, I can't breathe", skandieren die Demonstranten, während sie tapfer ausharren in der Nachtkälte. "Ich kriege keine Luft mehr": Das waren die letzten aufgezeichneten Worte von Eric Garner. Der schwarze New Yorker starb im Juli auf dem Weg ins Krankenhaus, nachdem ihn Polizisten in den Schwitzkasten genommen und seinen Kopf rabiat aufs Pflaster eines Bürgersteigs gedrückt hatten.

Garner war 43 Jahre alt und Vater von sechs Kindern. Er hatte vor einem Laden auf Staten Island Zigaretten verkauft; lose, nicht in Packungen, woraufhin ihn eine Streife wegen illegaler Geschäfte festnehmen wollte. Er litt an Asthma und einem schwachen Herzen. Während er den Beamten, die ihn umzingelten, im Ton der Verzweiflung zurief, sie sollten ihn endlich in Ruhe lassen, wurde er von hinten zu Boden gerissen. Auf dem Video einer Handykamera, aufgezeichnet von einem Freund Garners, kann man die Szene lückenlos sehen. Die Aufnahmen lassen keinen Zweifel daran, dass es die Polizisten waren, die einen Mann angriffen, der keinerlei Bedrohung darstellte.

Schon das unterscheidet den Tod Eric Garners vom Tod Michael Browns, des Jugendlichen, der in der US-Kleinstadt Ferguson erschossenen wurde. Während Brown den Ordnungshüter, der ihn nach einem Ladendiebstahl anzuhalten versuchte, wütend mit Fausthieben attackierte, flehte Garner nur, dass man ihn nicht anrühren solle. Doch genau wie im Fall Browns entschied eine Grand Jury, besetzt mit 14 weißen und neun nichtweißen Geschworenen, niemanden vor einen Richter zu stellen. Auch nicht Daniel Pantaleo, der Garner in den Schwitzkasten nahm, obwohl solche Griffe nach den Bestimmungen des New York Police Department verboten sind.

Wie klar oder knapp die Jury eine Anklage am Mittwoch ablehnte, bleibt vorläufig unter Verschluss. Das Gremium tagte im Geheimen, so wie im November in Ferguson auch. Doch im Unterschied zu der heruntergekommenen Kleinstadt in Missouri, wo nach dem Urteil reihenweise Geschäfte in Flammen aufgingen, scheinen die Weltbürger der Millionenmetropole gerade jetzt ihre Toleranz unter Beweis stellen zu wollen: die Demonstranten zeigten ihre Wut, blieben aber friedlich.

Nur mag eben nicht jeder einstimmen in diesem Chor. Hakeem Jeffries, einem schwarzen Kongressabgeordneten aus Brooklyn, geht es zunächst einmal um die schonungslose Bestandsaufnahme: "Nicht alle Amerikaner genießen den gleichen Schutz vor dem Gesetz." Menschen mit dunkler Haut würden zu oft diskriminiert, das sei nun mal der Status quo, sagt der Demokrat. Pete King wiederum, ein Republikaner, der einen überwiegend weißen Vorortbezirk im Parlament vertritt, macht Garner in merkwürdig kalten Worten mitverantwortlich für seinen Tod: Hätte er kein Asthma gehabt, keinen Herzfehler und nicht so viel Übergewicht, hätte er die Festnahme natürlich überlebt. Die Polizisten hätten ja nicht ahnen können, wie es um seine Gesundheit bestellt war. Und dass der Mann mehrfach rief, er kriege keine Luft mehr? "Wer nicht mehr atmen kann, kann auch nicht mehr reden", sagt King ungerührt.

Für Eric Holder, Barack Obamas scheidenden Justizminister, markiert der Fall Garner jedenfalls eine Wende. Nach den Worten des ersten Afroamerikaners an der Spitze des Ressorts hat das Misstrauen, das schwarze Amerikaner der Polizei entgegenbringen, solche Ausmaße angenommen, dass man dringend etwas tun müsse, um die Wunde zu heilen. Holder will nun noch einmal prüfen, unter welchen Umständen Garner ums Leben kam und ob die Hautfarbe dabei eine Rolle spielte. Denn es wäre bittere Ironie, würden ausgerechnet Holders sechs Amtsjahre als Zeit herber Rückschläge für die Bürgerrechte der Schwarzen in die amerikanische Geschichte eingehen.

(RP)
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