London/Athen Neuer Streit um alte Steine

London/Athen · Wem gehören die Parthenon-Skulpturen im Britischen Museum?

Für die verstorbene griechische Schauspielerin und Politikerin Melina Merkouri war es „ein Fall von Vandalismus und Barbarei“. Hartwig Fischer, der deutsche Direktor des Britischen Museums, nennt es „einen kreativen Akt“. Mit einem Interview in der griechischen Zeitung „Ta Nea“ fachte Fischer jetzt einen Streit neu an, der seit fast zwei Jahrhunderten zwischen Athen und London schwelt. Es geht um 220 Tonnen Marmor: Statuen und Fragmente vom Fries des Parthenon, des berühmtesten erhaltenen Bauwerks der griechischen Antike, ausgestellt im Britischen Museum in London. Griechenland kämpft um die Rückgabe der vor über 200 Jahren an die Themse entführten Skulpturen. Der Museumsdirektor und Kunsthistoriker Fischer erteilte diesem Wunsch jetzt eine kategorische Absage: „Diese Objekte gehören dem Britischen Museum.“

Die Briten sprechen von den „Elgin Marbles“. Ihren Namen verdanken die Marmorfragmente jenem Mann, der sie zwischen 1802 und 1810 aus Athen nach London schaffen ließ: Seine Lordschaft Thomas Bruce, Graf von Elgin und Kincardine. Der Edelmann war damals britischer Botschafter am Hof des türkischen Sultans Selim III. in Konstantinopel. Er verschaffte sich 1801 eine Genehmigung der damals über Griechenland herrschenden osmanischen Besatzer, die es ihm gestattete, von den Skulpturen auf der Athener Akropolis Zeichnungen und Abdrücke anzufertigen.

Aber Elgin wollte mehr als Abbildungen. Seinen Adlatus Giovanni Battista Lusieri wies er an: „Von der Akropolis wünsche ich Exemplare aller Simse, aller Friese, aller Kapitelle, der Deckenornamente, der Säulen, der Kassetten und generell Proben von allem – so viel wie möglich.“ Mit Steinsägen, Meißeln und Brechstangen zerlegten Elgins Arbeiter große Teile des Parthenon. Dass sie dabei schwere Schäden anrichteten und viele Skulpturen zerstörten, scheint Elgin nicht gestört zu haben.

Begeistert meldete der Botschafter seinem Außenminister: „In Athen habe ich nunmehr unglaubliche Schätze in meinen Besitz gebracht. Bonaparte hat auf all seinen Raubzügen in Italien nichts Vergleichbares erbeutet!“ Auf Kriegsschiffen der königlichen Marine ließ der Diplomat die Fragmente nach London bringen. Beim britischen Zoll deklarierte Elgin die Ladungen als „Steine ohne Wert“.

Die britische Regierung kam nicht nur für den Transport auf. Nachdem Elgin die Stücke jahrelang in seinem Privathaus in Schottland aufbewahrt hatte, verkaufte er 1816 seine Sammlung für 35.000 Pfund an den britischen Staat. Der gab die Marmorfragmente später ans Britische Museum weiter, wo sie seit 1939 in einem eigenen Raum ausgestellt sind.

Schon 1816 gab es in Großbritannien Stimmen, die eine Rückgabe der Stücke an Griechenland forderten. Der Unterhausabgeordnete Sir John Newport sagte: „Der ehrenwerte Lord hat einen flagranten Akt der Plünderung begangen; er raubte, was selbst den Türken und anderen Barbaren heilig war!“

Mit seiner Darstellung, der Abbruch und Abtransport der Stücke nach London sei ein „kreativer Akt“ gewesen, löste Museumsdirektor Fischer jetzt in Griechenland einen Sturm der Empörung aus. Kulturministerin Myrsini Zorba attestiert Fischer eine „engstirnige und zynische Gesinnung“. George Vardas vom Komitee für die Repatriierung der Parthenon-Stücke fragt: „Was ist kreativ an der Zerstörung eines Tempels und der Plünderung der antiken Kulturgüter einer Nation?“

Auch Fischers Darstellung, die Stücke seien legitimer Besitz des Britischen Museums, provoziert Widerspruch. Professor Dimitris Pandermalis, Direktor des 2009 eröffneten Akropolis Museums in Athen, bestreitet das. „Das Britische Museum ist nicht Eigentümerin der Skulpturen“, sagte Pandermalis jetzt dem Deutschlandfunk. „Die vollständige Rückgabe ist deshalb die einzige Lösung.“

Schon nach der Gründung des modernen Griechenland 1832 wurden erste Forderungen nach Rückgabe der Fragmente laut. Verbunden ist der Kampf um die Heimkehr der Marmorstücke vor allem mit dem Namen der Schauspielerin Melina Merkouri, die 1980 nach ihrer Berufung zur Kulturministerin eine internationale Kampagne startete. In einer flammenden Rede forderte Merkouri auf einer Konferenz der Unesco in Mexiko die Rückgabe der Stücke. In ihrer Rede rief die Griechin in Erinnerung, was dem britischen Philhellenen John Hobhouse 1809 bei einem Besuch in Athen widerfuhr. Ein alter Grieche habe ihn angesprochen, notierte Hobhouse in seinem Tagebuch, und ihm mit zitternder Stimme gesagt: „Ihr Engländer habt uns die Werke unsere Vorfahren weggenommen. Passt gut auf sie auf, denn der Tag wird kommen, an dem wir sie zurückfordern.“

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