Budapester Burgberg König Viktor von Ungarn

Budapest · Mit Jahresbeginn ist Ungarns Premier Viktor Orbán auf den Budapester Burgberg eingezogen, den Sitz der einstigen Könige. Mit seiner feudalen Neigung dürfte er eher die im alten Jahr begonnene Protestwelle zusätzlich befeuern.

 Orbán bezieht neue Residenz auf der Burg von Buda.

Orbán bezieht neue Residenz auf der Burg von Buda.

Foto: dpa/Attila Volgyi

Die silbern schillernde Donau, die mitten durch die Stadt fließt; die weltberühmte Kettenbrücke mit den wuchtigen Triumphbögen an beiden Enden; das prächtige Parlament im neogotischen Stil, das am rechten Ufer wie ein gigantischer Diamant funkelt – die Aussicht vom Burgberg auf Budapest bietet ein grandioses Panoramaschauspiel, wie es ein absoluter Herrscher liebt.

Seit Jahresbeginn ist Viktor Orbán der neue Herr auf der Budaer Burg. Der Premierminister ließ das ehemalige Karmeliterkloster innerhalb der weitläufigen Burganlage um rund 65 Millionen Euro zum neuen Regierungssitz umbauen, den er nun bezogen hat. Die Symbolik des absoluten Herrschers ist gewollt: Der Burgberg war einstmals Sitz der ungarischen Könige, also lautet Orbáns Botschaft an die Ungarn: Ich bin euer neuer König. Jetzt kann er auf das ungeliebte Parlament herabschauen, und Staatspräsident János Áder, der in unmittelbarer Nähe im Palais Sándor residiert, wird zum ranghöchsten Hofschranzen degradiert.

Doch ist Orbán das umgebaute Kloster noch nicht repräsentativ genug: Ziel seines feudalen Machtstrebens, gehen Gerüchte, sei der Einzug in den Budavári palota, den prunkvollen Burgpalast, der seit Jahren für diesen Zweck renoviert wird. Auf eine Krönung wird der 55-jährige Premier wohl verzichten, doch wer weiß das schon. Die kleine Oppositionspartei Párbeszéd (Dialog) macht sich bereits über Orbáns „Versuch, die Monarchie zu restaurieren“, lustig.

Auch dass der autoritäre Reichsverweser Miklós Horthy von 1920 bis 1944 vom Burgberg herab herrschte, stört Orbán kein bisschen: Seit einiger Zeit verklärt die offizielle Propaganda den einstigen Verbündeten Hitler-Deutschlands, unter dessen Vasallenregime fast eine halbe Million ungarische Juden nach Auschwitz deportiert wurden, als Nationalhelden ohne Tadel. Orbán läßt überall Statuen aus der Horthy-Ära errichten, sogar vor dem Parlament – als Verhöhnung der liberalen Demokratie.

Zwar gibt es durchaus einen triftigen Grund für einen Umzug: Die Regierung war bislang quasi Untermieter des Parlaments; Exekutive und Legislative unter einem Dach sei „für eine Demokratie eine unhaltbare Situation“, meint zu Recht Kanzleramtsminister Gergely Gulyás. Aber musste Orbán deshalb gleich den Burgberg erobern? Orbán versucht, seinen Allmachtsanspruch als „illiberale Demokratie“ zu tarnen – ein Widerspruch in sich. Die Gewaltenteilung ist praktisch aufgehoben, die Macht konzentriert sich in der Regierung und in der Zentrale der nationalkonservativen Partei Fidesz. Dazu ernennt sich der Premier selbst zum einzigen, noch authentischen Christdemokraten innerhalb der EU, zum letzten Verteidiger des christlichen Abendlands gegen linke und liberale Feinde, gegen Migranten aus „unchristlichen“ Ländern sowieso.

Seine Gegner sehen es freilich weniger pathetisch: Längst nennen sie ihn „Viktator“, in spöttischer Anspielung auf seinen Vornamen. Sie sehen in Orbáns Umzug auf die Budaer Burg eher eine Flucht vor dem wachsenden Volkszorn. Dort oben, hoch über der Donau, lässt sich das Machtzentrum leicht von Sicherheitskräften abschirmen. Die Geschichte des Burgpalastes reicht bis in die Anfänge des 13. Jahrhunderts zurück, als König Béla der IV. dort eine Burg errichten ließ. In den Jahrhunderten danach hinterließ jede Herrscher- und Stilepoche ihre Spuren an dem Gebäudekomplex. Ab dieser Zeit war der Palast Residenz der ungarischen Könige. Medien spekulieren bereits, ob nach Pekinger Vorbild auch in Budapest eine „verbotene Stadt“ ausgerufen wird.

Nach der Feiertagspause riefen für dieses Wochenende Gewerkschaften, Bürgerbewegungen, Nichtregierungsorganisationen und die mitschwimmenden, noch kraftlosen Oppositionsparteien zum gemeinsamen Widerstand auf, der, glaubt man den Organisatoren, spätestens im Frühjahr erstmals zu flächendeckenden Streiks führen soll. Entzündet haben die jüngste Protestwelle neuerliche Einschränkungen von Arbeitnehmerrechten zugunsten von Arbeitgebern. Den Ungarn wird ab Neujahr Mehrarbeit bei gleichzeitigem Einkommensschwund zugemutet, weshalb sie die Rücknahme dieses „Sklavengesetzes“ fordern. Um die Situation zu entschärfen, stimmte die Regierung der Erhöhung des Mindestlohns um acht Prozent auf rund 460 Euro ab Jahresbeginn zu. Die Demonstranten fordern jedoch mehr, eine generelle Erhöhung der Löhne um über zehn Prozent.

Mit dem neuen Arbeitsgesetz dürfte Orbán, der seit 2010 regiert und erst letzten April einen fulminanten Wahlsieg gefeiert hatte, sein Machtspiel überreizt haben. Immer mehr Menschen, vor allem junge, sagen generell dem „System Orbán“ den Kampf an – gegen die weitverbreitete Korruption, die Zerstörung der Demokratie, die politische Gängelung der Justiz, die Knebelung der Medien und anderes mehr. „Wenn die Regierung eines Landes ihr eigenes Volk verrät, ist die Zeit reif für Meuterei“, heißt es in einem martialischen Aufruf.

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