Afghanistans Präsident irritiert den Westen Nato ruft Karsai zur Ordnung

Kabul (RPO). Zwischen der Nato und Afghanistans Präsident Hamid Karsai knirscht es gewaltig. Nach der harschen Kritik des afghanischen Staatschefs an seinen westlichen Partnern ruft ihn das Militärbündnis nun zur Ordnung. US-Präsident Barack Obama droht indirekt mit einer Ausladung. Doch ob Karsai sich dadurch beeindrucken lässt, erscheint zweifelhaft.

Das ist Hamid Karsai
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Am Wochenende hatte Karsai die Nato-Staaten, die sich militärisch in Afghanistan engagieren, mit unverhohlenen Drohungen schwer irritiert. Am Donnerstag machte er den Westen für den Wahlbetrug bei den afghanischen Präsidentschaftswahlen im August vergangenen Jahres verantwortlich, am Samstag sagte er bei einem Treffen mit Stammesältesten im südafghanischen Kandahar, eine geplante Großoffensive der NATO gegen die Aufständischen in der Unruheregion hänge von ihrer Zustimmung ab. US-Diplomaten werfen Karsai inzwischen vor, mit den Taliban gemeinsame Sache zu machen.

Am Dienstag gab das Militärbündnis seine Antwort auf die Provokation. Die internationale Gemeinschaft, die NATO-Truppe ISAF eingeschlossen, leiste weiterhin "enorme Anstrengungen und Opfer, um das afghanische Volk zu unterstützen, um Afghanistan unwirtlich für den Terrorismus zu machen", sagte NATO-Sprecher James Appathurai am Dienstag in Brüssel. "Wir hoffen und wir zählen darauf, dass das vom afghanischen Volk auf höchster Ebene anerkannt wird", fügte er mit Blick auf die Regierung in Kabul hinzu.

"Alle Welt weiß, dass Karsai der gewählte Führer eines souveränen Volkes ist", sagte der Sprecher auf Nachfrage. Die Nato sei allerdings ein Partner der afghanischen Regierung und dies müsse "von den Afghanen und von der internationalen Gemeinschaft als real wahrgenommen" werden. Afghanistan wird vom Ausland mit mehreren Milliarden Dollar unterstützt. Außerdem sind 126.000 ausländische Soldaten am Hindukusch, um gegen islamistische Aufständische zu kämpfen und die Sicherheitslage zu stabilisieren.

Die US-Regierung droht dem afghanischen Präsidenten mittlerweile indirekt mit der Absage seines Washington-Besuchs, sollte er an der harschen Kritik gegen seine westlichen Partner festhalten. Das Weiße Haus werde Karsais weitere Bemerkungen dahingehend überprüfen, ob ein solches Treffen überhaupt noch "konstruktiv" sei, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, am Dienstag in Washington. US-Präsident Barack Obama hatte Karsai bei seinem überraschenden Besuch in Afghanistan Ende März für den 12. Mai in die USA eingeladen.

Karsai hatte vergangene Woche den Westen für den Wahlbetrug bei der afghanischen Präsidentschaftswahl im August vergangenen Jahres verantwortlich gemacht. Am Wochenende sagte der afghanische Präsident vor Stammesältesten in Kandahar, eine Großoffensive der NATO gegen Aufständische in der südafghanischen Provinz hänge von ihrer Zustimmung ab.

Doch Afghanistans Präsident steht mit dem Rücken zur Wand. Beim eigenen Volk hat er beim jüngsten Besuch von US-Präsident Barack Obama massiv an Ansehen verloren. Und auch das Ausland hat das Vertrauen in den Paschtunen seit langem verloren. Seine Vorstöße in Richtung Nato lassen sich daher als mehr oder minder verzweifelter Versuch verstehen, wieder die Initiative an sich zu reißen. Karsai versuchte mit seiner Erklärung vor den Stammesfürsten, seine Stellung als souveräner Präsident zu untermauern. Im Ausland wurde dieser Schritt jedoch als Verbeugung vor den Taliban gewertet.

"Wir sind wie unsere Verbündeten sehr irritiert und fragen uns, was da jetzt zwischen Karsai und den Taliban läuft", erklärte ein hoher US-Regierungsbeamter der Nachrichtenagentur ddp. Westliche Geheimdienste vermuten inzwischen eine "Achse zwischen Karsai und den Aufständischen". Ein Sprecher des US-Präsidenten Barack Obama nannte die Äußerungen Karsais "wirklich beunruhigend".

Legitime Widerstandsbewegung

Besondere Aufmerksamkeit erregte nach Angaben der CIA ein Satz Karsais bei einem nicht-öffentlichen Treffen mit afghanischen Parlamentariern. Er habe gesagt: "Sollten die USA und ihre Verbündeten weiter meiner Regierung vorschreiben, was sie zu tun hat, kann der Aufstand der Taliban zu einer legitimen Widerstandsbewegung werden."

"Wenn ich vom Ausland unter Druck gesetzt werde, könnte ich mich den Taliban anschließen", gab ein Abgeordneter am Sonntag die Worte des Präsidenten wieder. Aus einer Rebellion gegen die rechtmäßige Regierung in Kabul würde dann Widerstand gegen eine ausländische Besatzung werden.

Karsai hatte den Taliban mehrfach bereits Friedensgespräche angeboten. Schon oft sollen sich heimlich Abgesandte des Präsidenten mit Vertretern der Aufständischen getroffen haben. Zuletzt hatte Karsai mit dem brutalsten Kriegsherrn Afghanistans, Gulbuddin Hekmatyar, Verbindung aufgenommen. In den westlichen Geheimdiensten wird gemutmaßt, Karsai habe die "Fronten gewechselt".

Drohung mit den Taliban

Schon seit Monaten wettert Karsai über die angebliche Bevormundung aus Washington. Er setzt darauf, dass es seinem Ansehen daheim nutzt, wenn er den Fremden die Schuld an Problemen gibt. Sein politisches Risiko scheint gering, da es zu ihm derzeit keine Alternative gibt. Doch die offenen Differenzen könnten sich zu einem ernsten Problem für beide Seiten auswachsen.

Karsais Stern im Westen sinkt schon seit längerem. Bei seinem Kurzbesuch in Kabul nahm Obama ihn sich erneut vor und drang auf Fortschritte bei der Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft. Karsai brütete drei Tage lang über den Vorwürfen, dann keilte er zurück: Die Uno und die internationale Gemeinschaft hätten hinter dem Wahlbetrug voriges Jahr gesteckt und wollten seine Autorität untergraben.

Am Montag ruderte Karsai vorsichtig zurück. Er habe nicht die Absicht, mit Washington zu brechen. "Es soll nur klar sein, dass wir alle wissen, wo jeder von uns steht", sagte er dem Nachrichtensender CNN. "Afghanistan ist die Heimat der Afghanen, es gehört uns. Und unsere Partner sind hier, um in einer Sache zu helfen, die ganz die unsere ist. Wir führen dieses Land, die Afghanen."

Frust sitzt bei Karsai tief

Karsai gilt im Ausland längst als Enttäuschung. Die US-Regierung, die immer noch die Hauptlast des internationelen Einsatzes trägt, versucht seit Monaten über Umwege Einfluss auf Politik und Verwaltung des Landes zu nehmen. Geld und Expertenwissen fließen direkt in die Provinzen — an Karsais Machtbasis vorbei. An wichtigen Entscheidungen wird die Zentralregierung offenbar nicht mehr beteiligt. Getroffen werden sie in Washington. Sehr zum Leidwesen des stolzen Karsai.

Karsai war im vergangenen August bei der Präsidentenwahl zwar im Amt bestätigt worden. Nach einem Uno-Bericht war es dabei aber zu massiven Manipulationen zugunsten von Karsai gekommen. Die daraufhin angesetzte Stichwahl zwischen ihm und seinem Herausforderer Abdullah Abdullah kam nicht zustande. Der frühere Außenminister zog seine Kandidatur zurück, weil er keine Garantien gegen erneuten Wahlbetrug bekam.

(AP/ddp/AFP/csi)
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