Afghanistan-Abzug im Mittelpunkt des Gipfels Nato-Logistiker stehen vor Herkulesaufgabe

Brüssel · Während es auf dem Nato-Gipfel ab Sonntag in Chicago darum geht, den für Ende 2014 geplanten Abzug der Kampftruppen und die Art der Unterstützung für die afghanischen Sicherheitskräfte in der Zeit danach festzulegen, zerbrechen sich die Planungsexperten in den Militärstäben bereits den Kopf über die logistischen Herausforderungen.

Rund 130.000 ausländische Soldaten der Nato-geführten Isaf-Truppe sind derzeit in Afghanistan und sollen zu einem Großteil bis Ende 2014 schrittweise heimkehren. Doch es geht auch um Geländewagen, Panzer und Helikopter – sowie um Computer, Küchengeschirr, Betten oder Billiardtische. Ein ranghoher Nato-Vertreter schätzt allein den Wert des für den Einsatz am Hindukusch erforderlichen Kriegsgeräts auf knapp 23 Milliarden Euro: "All unsere Ausrüstung und die Soldaten von dort abzutransportieren, wird eine Weile brauchen."

"Am Anfang steht die Frage: Was wird an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben, was zerstört und was mitgenommen?", berichtet ein Nato-Diplomat. Nach bisherigem Stand will die Nato rund 70.000 Fahrzeuge und 122.000 Container mit Material aus dem bergigen Land herausschaffen. Auf die Bundeswehr – die nicht von Abzug, sondern von einer "Rückverlegung" spricht – entfallen 1700 Fahrzeuge und 6000 Container. Zudem muss überlegt werden, was in Zukunft aus den Stellungen und Lagern der Isaf wird. "Wir wollen vermeiden, dass Geisterstädte entstehen", sagt der Diplomat.

Suche nach Abzugsrouten

Doch es gibt weitere offene Fragen. "So ein Abzug lässt sich nur vom Ende her denken, wenn klar ist, wie die Rolle der Bundeswehr nach 2014 aussieht", erläutert Markus Kaim, Nato-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, die Schwierigkeiten für die deutschen Planungsstäbe. Denn noch ist unklar, wie viele Soldaten für die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte gebraucht werden und wie viele kampfbereite Kameraden zu deren Schutz auch nach 2014 im Land bleiben.

Diplomatisches Fingerspitzengefühl ist zudem auf der Suche nach Abzugsrouten gefragt. Besonders die USA und Großbritannien möchten dafür Pakistan nutzen. Das Land hat die Versorgungsrouten der Allianz aber Ende November gesperrt, nachdem 24 pakistanische Soldaten bei US-Luftangriffen getötet worden waren. Jüngst gab es aber Fortschritte: Pakistan erlaubte den Weitertransport von vier Containern mit Büromaterial für die US-Botschaft in Kabul. Zudem nahm Staatschef Asif Ali Zardari eine kurzfristige Einladung zum Nato-Gipfel in Chicago an.

Nicht nur für Pakistans Regierung ist es auch eine Frage der Bezahlung, ob sie den Abzug über ihr Territorium erlaubt. "Es ist klar, dass Geld abfällt bei den Transitstaaten", berichtet ein Nato-Diplomat. Entweder durch direkte Zahlungen oder etwa die Auflage, staatliche Eisenbahnunternehmen zu beauftragen.

Unpraktischer Lufttransport

Andere Routen führen entweder über Usbekistan oder über Tadschikistan und Kirgistan nach Kasachstan und schließlich Russland – wobei aber Verhandlungen mit Usbekistan noch nicht abgeschlossen sind und die Qualität von Schienen- und Straßennetz in Tadschikistan und Kirgistan als problematisch angesehen wird.

Als unpraktisch und teuer gilt die Option, Material per Lufttransport ins russische Uljanowsk auszufliegen. Schließlich wird auch die Sicherheitslage bei der Entscheidung über Transportrouten eine Rolle spielen.

"Wir brauchen zusätzlich zu den Logistikern speziell für den Schutz und die Begleitung des Abzugs ausgebildete Soldaten", sagt die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff. Die Bundestagsabgeordnete fordert daher ein gesondertes Mandat für die "anspruchsvolle Abzugsmission", um auch auf Befehlsebene eine klare Verantwortlichkeit zu schaffen. Hoff warnt vor Versäumnissen: "Die Rückverlegung der Truppen nach dem längsten, schwierigsten und blutigsten Nato-Einsatz überhaupt muss gut gelingen."

(AFP)
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