China schickt Kampfflugzeuge in die Luft Nancy Pelosi in Taiwan - Zwischenstopp mit Folgen

Peking/Taipeh · Noch ehe Nancy Pelosi in Taipeh eintraf, ließ Chinas Volksbefreiungsarmee Kampfflugzeuge aufsteigen. Nach ihrer Landung sagte sie, sie wolle Solidarität mit Taiwan zeigen.

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Nancy Pelosi in Taiwan - höchster US-Staatsbesuch seit 25 Jahren

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Foto: AP/Chiang Ying-ying

Auf wenige Flüge wurde in den vergangenen Jahren wohl so gespannt gewartet: Bei Online-Diensten verfolgten am Dienstag Millionen Menschen die Boeing der US-Luftwaffe, als sie von Kuala Lumpur in Malaysia nach Taipeh unterwegs war. Mit an Bord: Nancy Pelosi, dritthöchste Vertreterin der US-Politik.

Die US-Spitzenpolitikerin traf am Abend im Zuge ihrer Asien-Reise in Taipeh ein. Ihr seit Wochen hitzig debattierter Taiwan-Besuch lässt die Spannungen zwischen den zwei führenden Weltmächten auf ein bedrohliches Maß wachsen. Sie wolle ihrer Solidarität mit Taiwan Ausdruck verleihen, sagte Pelosi kurz nach ihrer Ankunft. Es ist der erste vergleichbare Besuch eines US-Politikers seit 25 Jahren. Begrüßt wurden Pelosi und ihre Delegation von Taiwans Außenminister Joseph Wu und Sandra Oudkirk, der höchsten Repräsentantin der USA in Taiwan.

Der Besuch dürfte die Spannungen zwischen China und den USA verschärfen, der Status Taiwans ist einer der Hauptkonfliktpunkte zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt. In Peking ließ die Staatsführung keinen Zweifel daran, dass die Vereinigten Staaten damit eine ihrer berüchtigten „roten Linien“ übertreten. Außenamtssprecherin Hua Chunying betonte, dass man „entschlossene Maßnahmen ergreifen wird, um unsere Sicherheitsinteressen zu gewährleisten“. Die US-Seite werde den Preis dafür zahlen, Chinas Souveränität zu untergraben. Auch unabhängige Beobachter werten Pelosis Reisepläne als überaus heikel: „Die Reaktion Chinas wird mit ziemlicher Sicherheit auch eine militärische Komponente beinhalten, sogar Raketentests“, kommentiert Taylor Fravel, Leiter am Institut für Sicherheitsstudien des MIT.

Die wirtschaftliche Vergeltung hat bereits begonnen. Am Dienstag sperrte die chinesische Zollbehörde 100 taiwanesische Lebensmittelexporteure, Waren in die Volksrepublik einzuführen – angeblich wegen „veralteter Informationen zu Importdokumenten“. Doch ganz offensichtlich ist dies nur vorgeschoben, denn Peking setzt immer dann seine ökonomischen Muskeln ein, wenn ein anderer Staat nicht nach der eigenen politischen Pfeife tanzt. Auch an der New Yorker Börse löste der Besuch Reaktionen aus: Vorm Hintergrund der Spannungen stiegen viele Anleger bei US-Rüstungsfirmen wie Lockheed Martin ein. Deren Aktienwert stieg um bis zu 2,4 Prozent.

Doch auch die militärische Drohkulisse ist beachtlich. Chinas US-Botschafter Qin Gang, ansonsten eher moderat im Tonfall, warnte, dass die Volksbefreiungsarmee einem Besuch Pelosis „nicht tatenlos zuschauen“ werde.

Der Zeitpunkt von Pelosis Besuch ist auch aus einem ganz trivialen Grund besonders heikel. Chinas Volksbefreiungsarmee befindet sich nämlich gerade am Ende ihrer halbjährlichen Übungseinsätze, viele Einheiten sind also noch aktiv im Feld – und könnten problemlos für zusätzliche Operationen mobilisiert werden. Am Dienstag waren die sozialen Medien bereits gefüllt mit Handyvideos, auf denen zu sehen ist, wie Panzerhaubitzen und weitere Militärausrüstung demonstrativ durch die südöstliche Küstenstadt Xiamen rollen, um sich in Stellung zu bringen. Wenig später flogen mehrere chinesische Kampfflugzeuge ungewöhnlich nah an die „Mittellinie“ heran, die als Grenze zwischen Taiwan und China dient.

In Taiwan hingegen verfangen die Drohungen überraschend wenig. Auf der vorgelagerten Insel Kinming, von deren Küste man das chinesische Festland bereits mit bloßem Auge sehen kann, besuchten die Touristen Museen und Restaurants – die geopolitische Krise könnte gefühlt weiter nicht entfernt sein. Und in Taipeh verkaufte ein halbes Dutzend Politiker auf offener Straße Tüten mit gebratenem Hühnchen – weil sie in öffentlichen Wetten die Ankunft Pelosis falsch vorhergesagt hatten. Für die rhetorischen Warnungen der Volksrepublik zeigt man sich vor allem deshalb taub, weil die kriegspsychologischen Störgeräusche bereits seit Jahrzehnten unweigerlich zum Alltag auf der Insel gehören.

„Die USA sollten sich nicht von einer Diktatur bedrohen lassen“, kommentiert auch Fang Chen-Yu, Professor an der Soochow-Universität in Taipeh. Das Risiko, das der Besuch Pelosis darstellt, ist nach Ansicht des Politikwissenschaftlers gering. Denn noch sei Chinas Militär nicht stark genug, den Inselstaat einzunehmen.

Dem stimmt auch Jiho Tiun zu. „Chinas rote Linien hängen vor allem davon ab, wie sehr die Welt bereit ist, den Tyrannen anzuerkennen und ihn mit seinen Schikanen davonkommen zu lassen“, sagt der Stadtrat von Keelung im Norden der Insel: „Das schlimmstmögliche Szenario für Taiwan ist es, wenn China uns angreift – und die Welt ignorant und gleichgültig bleibt. Aus geopolitischer Sicht ist daher jede Art von Publicity für uns gute Publicity.“ Und Nancy Pelosis Taiwan-Besuch sei genau das: gute Publicity.

Nancy Pelosi nach ihrer Landung in Taipeh mit Regierungsvertretern Taiwans.  Foto: AP

Nancy Pelosi nach ihrer Landung in Taipeh mit Regierungsvertretern Taiwans. Foto: AP

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Doch natürlich stellt sich die Frage, was Nancy Pelosi mit ihrer vorrangig symbolischen Reise nach Taiwan überhaupt bezwecken möchte. Es ist zumindest davon auszugehen, dass Pelosi zu gewissen Teilen auf „persönlich motivierter Mission“ unterwegs ist. Nur zwei Jahre nach der blutigen Niederschlagung der Studentenbewegung besuchte die US-Politikerin den Pekinger Tian­anmen-Platz, um vor den Fernsehkameras ein Banner zu Ehren der getöteten Demonstranten zu hissen. 2009 hat sie sich vehement für die Freilassung des damals inhaftierten Dissidenten und späteren Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo eingesetzt, der schließlich hinter Gittern starb. Insofern ist ihr Taiwan-Besuch vor allem ein Zurschaustellen von Solidarität gegenüber der demokratisch regierten Insel. Befugnisse über substanzielle Zugeständnisse wird Pelosi hingegen nicht liefern können.

(mit REUTERS)
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