Nahostkonflikt eskaliert Iran greift Israel mit 180 Raketen an
Analyse · Am Dienstagabend hat der Iran Raketen auf Israel geschossen – ein zweiter großer Angriff nach der Attacke mit Drohnen und Marschflugkörpern im April. Offenbar will die Führung in Teheran nach den israelischen Luftangriffen auf die Hisbollah demonstrieren, dass sie ihre Partner nicht im Stich lässt. Wie es nun weitergehen könnte.
Der Iran hat Israel mit Raketen angegriffen und droht mit einem noch massiveren Beschuss. Rund 180 Raketen wurden laut Armeeangeben am Dienstagabend am Himmel über Israel gesichtet. Manche schlugen ein und explodierten, andere wurden abgefangen. Die iranische Revolutionsgarde erklärten den Angriff zur Vergeltung für die Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanijeh und Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah durch Israel. Teheran erklärte den Angriff nach etwa einer Stunde für beendet. Mindestens ein Mensch ist getötet worden, zwei weitere wurden leicht verletzt. Im besetzten Westjordanland sei ein Palästinenser in Jericho durch herabfallende Raketenteile getötet worden, teilte der örtliche Gouverneur mit. Der israelische Rettungsdienst Magen David Adom meldete zwei leicht Verletzte im Raum Tel Aviv.
In großen Teilen Israels heulten wegen der anfliegenden iranischen Raketen die Luftalarmsirenen. Rund zehn Millionen Menschen seien von den Geschossen bedroht, erklärte die Armee. Einige Raketen seien im Zentrum und im Süden des Landes eingeschlagen. Einige Raketen sollen im benachbarten Jordanien und im palästinensischen Westjordanland niedergegangen sein. Andere zielten nach iranischen Angaben auf israelische Truppen im Gaza-Streifen.
Gegenseitige Drohungen
Das iranische Regime hatte bis Dienstagabend mit seiner Antwort auf die Tötung von Hanijeh in Teheran im Juli und den Anschlag auf Nasrallah vorige Woche gezögert. Nun habe Israel die „legale, rationale und legitime Antwort“ erhalten, erklärte die iranische UN-Botschaft. Sollte Israel antworten, werde ein „vernichtender“ Schlag folgen. Israels Armee entgegnete, der iranische Angriff werde Konsequenzen haben.
Einige Stunden vor dem Beschuss hatte die US-Regierung erklärt, dass der Iran den Angriff vorbereite. Offenbar habe Teheran den Raketenangriff gegenüber Washington angekündigt, kommentierte Ian Bremmer, Chef der Beratungsfirma Eurasiagroup. Der Iran wolle ein Mindestmaß an Abschreckung gegen Israel schaffen, ohne eine weitere Eskalation einzuleiten, schrieb Bremmer auf X. Die iranische Führung hatte in den vergangenen Wochen mehrmals betont, sie wolle keinen Krieg mit Israel oder den USA.
Die iranische Führung will nach den israelischen Luftangriffen auf ihren Verbündeten Hisbollah im Libanon demonstrieren, dass es seine Partner nicht im Stich lässt. Schon beim ersten iranischen Großangriff auf Israel mit Drohnen und Marschflugkörpern im April 2024 hatte das Teheraner Regime vor dem Beschuss klargemacht, dass es eine Eskalation vermeiden wolle. Damals gab es keine nennenswerten Schäden.
Die iranische Strategie setzt jedoch voraus, dass auch Israel keinen Krieg will. Im April hatte die israelische Armee einige Drohnen nach Iran geschickt, die relativ harmlos waren. Diesmal könnte es anders werden, meint der Iran-Experte Ali Vaez von der Denkfabrik International Crisis Group: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Israel nicht reagieren wird“, schrieb er am Dienstagabend auf X. Tatsächlich drohte der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu am späten Dienstagabend mit Vergeltung. Die israelische Armee kündigte an, noch in der Nacht „kraftvoll“ im Nahen Osten angreifen zu wollen.
Israel startet Bodenoffensive im Libanon
Am Dienstagmorgen hatte Israel mit einer neuen Bodenoffensive im Süden Libanons begonnen, um die Hisbollah aus dem Grenzgebiet zu verdrängen. Begleitet von Luftangriffen unternahmen israelische Einheiten nach Angaben der Armee kleinere Vorstöße in das Nachbarland. Ziel sei es, die Hisbollah hinter den Litani-Fluss 30 Kilometer nördlich der Grenze zurückzudrängen. Damit will die israelische Regierung zehntausenden Bewohnern des israelischen Grenzgebietes, die von den Raketen der Hisbollah in den vergangenen Monaten vertrieben wurden, die Rückkehr ermöglichen.
Um zu zeigen, dass Israels Armee ihre Kämpfer nicht einfach überrollen kann, feuerte die Hisbollah am Dienstag weitere Raketen nach Israel hinein. Das sei „erst der Anfang“. Die Huthi-Rebellen im Jemen unterstützten die Hisbollah, indem sie Drohnen nach Tel Aviv und Eilat am Roten Meer schickten.
Zuletzt hatte Israel im Jahr 2006 seine Bodentruppen in den Libanon geschickt. Nach einer Invasion im Jahr 1982 hatte die israelische Armee noch bis zum Jahr 2000 Teile des Süden Libanons kontrolliert. Nach Einschätzung von Experten ist die neue Bodenoffensive für Israel riskant. Selbst wenn die Hisbollah im Grenzgebiet geschwächt sei, gebe es dort immer noch viele Bunker und andere Militäranlagen der Miliz, sagt der Nahost-Experte und ehemalige israelische Offizier Ahron Bregman vom King’s College in London. Kämpfe im Süden Libanons seien für die israelische Armee riskant, weil sich das Gelände dort nicht für Panzer und anderes schwere Gerät eigne.
„Das langfristige Risiko für Israel besteht darin, im Libanon steckenzubleiben“, schrieb Bregman in seinem Newsletter „Ahronpinion“. Er selbst habe das als Hauptmann der israelischen Invasion von 1982 miterlebt: Damals sollte der Feldzug höchstens drei Tage dauern – „doch daraus wurden 18 Jahre“.