Hilfsorganisationen im Gazastreifen „Mit jedem Tag wächst die Not“
Analyse | Berlin · Seit wenigen Tagen kommen humanitäre Hilfsgüter über den ägyptischen Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen. 1,6 Millionen Menschen sind dort dringend auf Hilfe angewiesen. Die bisherigen Hilfstransporte sind ein Tropfen auf den heißen Stein, sagen Organisationen vor Ort.
Es fehlt an sicheren Unterkünften, Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten. Von einer „katastrophalen humanitären Lage“ für Kinder im Gazastreifen spricht das Team von Unicef, das im jordanischen Amman und in der Region Gaza im Einsatz ist. Nach zwei Wochen Raketeneinschlägen sei auch die psychische Belastung immens. Viele Menschen haben Angehörige, ihr Zuhause und „jegliche Zuversicht“ verloren. „Mit jedem Tag wächst die Not“, so das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Krankenhäuser sind überfüllt und überlastet. Die Mitarbeiter vor Ort berichten laut Pressestelle von 120 Neugeborenen, die auf Inkubatoren angewiesen sind, die aber ohne Strom nicht funktionieren können. Der Mangel an sauberem Trinkwasser befördere den Ausbruch von Krankheitsausbrüchen in der Region.
„Kinder in der Region zahlen für die Gewalt nach den grausamen Anschlägen auf Israel den höchsten Preis“, schreibt Unicef Deutschland am Dienstag. Auch die Situation der betroffenen Kinder in Israel beschäftigt das Hilfswerk: Es fordert die sofortige Freilassung der israelischen Kinder, die im Gazastreifen als Geiseln gehalten werden und deren Rückführung zu ihren Familien.
Auch Ärzte ohne Grenzen ist im Gazastreifen im Einsatz. Die Zahl der Hilfsgüter, die bisher in die betroffenen Gebiete geliefert werden können beschreibt die Organisation als „vollkommen unzureichend“. Rund 300 palästinensische Mitarbeiter arbeiteten vor den Angriffen der Hamas auf Israel im Norden von Gaza für Ärzte ohne Grenzen. Einige seien mit ihren Familien in den Süden gegangen, andere blieben im Norden und behandeln dort weiterhin Patienten.
Der Mangel an Strom und Treibstoff vor Ort erschwere es enorm, Kontakt zu den Mitarbeitenden zu halten, erklärt das Team von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. Medikamente und Trinkwasser gehen aus. Die Situation im Gazastreifen beschreibt die Organisation als „katastrophal“. Die Krankenhäuser seien stark überlastet. „Patienten liegen auf dem Boden. Chirurgen von Ärzte ohne Grenzen im Al-Shifa-Krankenhaus haben berichtet, dass sie zuletzt ohne Schmerzmittel operieren mussten“. Ein Team von Ärzte ohne Grenzen habe dem Krankenhaus in Al-Shifa in Gaza-Stadt zuletzt alles medizinische Material zur Verfügung gestellt, das ihm noch zur Verfügung stand. „Für die Bevölkerung lebenswichtige Güter müssen sicher und regelmäßig nach Gaza gelangen können“, fordert Ärzte ohne Grenzen.
Am vergangenen Samstag sind erste Lastwagen mit Hilfsgütern über den ägyptischen Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen gefahren. Zwei Wochen lang mussten Zivilisten dort seit dem Angriff der Hamas auf Israel ohne humanitäre Hilfe ausharren. Die Öffnung der Grenzen bedeutet auch für internationale Hilfsorganisationen, dass sie ihre Hilfe in den betroffenen Gebieten ausweiten können. „Unser Team ist weiter in Gaza im Einsatz und tut in dieser schwierigen Lage alles in seiner Macht Stehende, um Kinder mit lebensrettender Hilfe zu erreichen“, erklärt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen auf Nachfrage unserer Redaktion. Mehr als 1,6 Millionen Menschen im Gazastreifen sind demnach dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Am Grenzübergang Rafah hat Unicef Hilfsgüter für 250.000 Menschen bereitgestellt. Dennoch seien die ersten Konvois mit Hilfslieferungen, die bisher über den Grenzübergang in den Gazastreifen kamen „nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, so Unicef. Täglich würden mehr Hilfsmittel benötigt, als geliefert werden können. Deshalb ruft die Organisation dazu auf, alle Grenzübergänge zum Gazastreifen für den Transport humanitärer Hilfsgüter zu öffnen. Die Vereinten Nationen fordern einen humanitären Waffenstillstand, um das Leid der Menschen im Gazastreifen zu beenden.
Außenministerin Annalena Baerbock hat bei ihrer Reise in die Region in der vergangenen Woche humanitäre Soforthilfen in Höhe von 50 Millionen Euro für die Zivilbevölkerung in Gaza angekündigt. „Dies ist enorm wichtig, um die Not der Menschen in dieser schwierigen Lage zu lindern“, erklärt das Team von Unicef Deutschland. Diplomatische Bemühungen um den Zugang für humanitäre Hilfsgüter dürften nicht nachlassen.