Nach Terroranschlag London will Anti-Terror-Kampf im Internet

London · Drei Terroranschläge in drei Monaten: Großbritannien kommt nicht zur Ruhe. Die Bekämpfung des Extremismus heizt auch den Schlussspurt des Wahlkampfes kräftig an.

Theresa May kündigte eine härtere Gangart gegen den Terror an - nicht nur im Netz.

Theresa May kündigte eine härtere Gangart gegen den Terror an - nicht nur im Netz.

Foto: ap

Mit einer Schweigeminute um 11 Uhr Ortszeit antworteten gestern die Briten auf die jüngste Terrorattacke, die ihr Land heimgesucht hatte. Drei Männer waren am Pfingstsamstag in einem weißen Lieferwagen über die London Bridge gerast, hatten Passanten niedergemäht und ihren Angriff fortgesetzt, indem sie mit Messern wahllos auf Menschen einstachen, die nichts weiter im Sinn gehabt hatten, als sich im Borough Market, einem angesagten Viertel in Süd-London, an einem warmen Sommerabend zu vergnügen. Sieben Opfer rissen die Terroristen in den Tod, 48 Menschen wurden verletzt, teilweise schwer. Die Täter kamen ebenfalls bei dem Anschlag um: Innerhalb von acht Minuten nach dem ersten Alarm konnten Spezialeinheiten die drei Männer niederschießen.

Die Londoner Polizei identifizierte gestern zwei der drei Attentäter. Es handle sich um den 27-jährigen Briten Khuram Shazad Butt und Rachid Redouane, der sich sowohl als Libyer als auch als Marokkaner bezeichnet und zwei verschiedene Geburtsdaten angegeben habe, erklärte die Polizei. Butt sei in Pakistan geboren. Beide lebten im Stadtteil Barking im Osten Londons, hieß es. Die Identifizierung des dritten mutmaßlichen Angreifers sei noch nicht abgeschlossen.

Das Attentat geschah nur knapp eine Woche vor den Parlamentswahlen, die am Donnerstag stattfinden sollen. Die Parteien setzten den Wahlkampf für 24 Stunden aus, dann aber heizte, wie zu erwarten, das Thema Anti-Terror-Kampf den Endspurt der Kampagne kräftig an.

Premier May wählt markige Worte

Mit knallharten Worten versuchte Premierministerin Theresa May, schon wenige Stunden nach dem Anschlag Entschlossenheit und Führungsstärke zu demonstrieren. "Jetzt reicht's!", schmetterte die konservative Regierungschefin. Bei der Terrorbekämpfung müsse sich etwas ändern, sagte sie und präsentierte sogleich einen Plan. So dürfe etwa das Internet Extremisten keinen Rückzugsort bieten. Ihr Widersacher, Labourchef Jeremy Corbyn, forderte gestern dagegen den Rücktritt Mays: Sie sei schließlich für starke Kürzungen im Polizeibereich mitverantwortlich. May war sechs Jahre lang Innenministerin, in dieser Zeit hatte der Polizeiapparat gewaltig Federn lassen müssen, um Kosten zu sparen. May sei mitverantwortlich dafür, dass es jetzt 20.000 Polizisten weniger gebe als 2010, sagt Corbyn. Er verspricht, bei einem Wahlsieg 10.000 Polizisten mehr einzustellen. Das Rennen um die Macht dürfte bis zur Schließung der Wahllokale spannend bleiben.

Möglicherweise interessiert viele Briten inzwischen ohnehin mehr die Sicherheitslage als die Neuwahl. Gleich drei Angriffe in drei Monaten - und fünf weitere wurden laut May im selben Zeitraum vereitelt. Erst vor zwei Wochen zündete ein Selbstmordbomber einen Sprengsatz bei einem Teenie-Konzert in Manchester und tötete 22 Menschen, darunter viele Kinder. Und genau zwei Monate davor, am 22. März, raste der Terrorist Khalid Masood mit einem Auto in eine Menschenmenge auf der Westminster Bridge und erstach danach einen Polizisten. Es war das Muster, nach dem auch die allerjüngste Attacke passierte: Mit primitivsten Mitteln durchgeführt, aber praktisch nicht zu verhindern. Es ist eine Methode, die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) über das Internet propagiert. Der IS hat auch für die Attacke auf der London Bridge die Verantwortung übernommen.

Sicherheitskräfte reagierten vorbildlich

Mag die Terrorabwehr versagt haben, so war die Reaktion der Sicherheitskräfte exemplarisch. Dass die Täter in Rekordzeit gestoppt werden konnten, verdanken die Hauptstadtbewohner wohl der Professionalität und dem Ausbildungsstand der Londoner Polizisten in den "Armed Response Vehicles", den Polizeiautos mit den taktischen Spezialeinheiten, die Tag und Nacht in den Londoner Straßen patrouillieren. Insgesamt acht bewaffnete Polizisten konnten innerhalb von nur acht Minuten nach dem ersten Notruf am Tatort erscheinen. Die Terroristen, die Attrappen von Selbstmordwesten trugen, wurden in einem Kugelhagel von mehr als 50 Schüssen getötet.

Die professionelle Polizeiarbeit ging noch in der Nacht zum Sonntag weiter. In den frühen Morgenstunden am Sonntag fand dann die erste von mehreren Razzien statt. In Barking, einem Stadtteil im Londoner Eastend, wurden zwölf Personen festgenommen. Ein 55-jähriger Mann wurde inzwischen freigelassen, aber sieben Frauen und vier Männer befinden sich weiterhin in Haft. Einer der Täter, ein 27-jähriger zweifacher Familienvater, soll laut Medienberichten schon vor einiger Zeit von Bekannten der Polizei als möglicher Extremist gemeldet worden sein. Allerdings scheint das keine Konsequenzen gehabt zu haben.

Die offizielle Terrorwarnstufe war nach dem Manchester-Attentat auf den Spitzen-Level "critical" erhöht worden, was bedeutet, dass ein weiterer Anschlag unmittelbar bevorsteht. Er ist danach wieder auf "severe" (ernst) gesenkt worden, weil es keine harten Beweise für eine kommende Terrortat gab. Die Sicherheitskräfte wussten also nichts von dieser geplanten Attacke.

Die Häufung der Terroranschläge in Großbritannien ist beunruhigend. Die Zahlen demonstrieren eine drastisch gestiegene Bereitschaft von Terroristen zuzuschlagen. Rund 3000 sogenannte Terrorverdächtige kennen die Sicherheitskräfte in Großbritannien, weitere 20.000 Personen gelten als mögliche Sympathisanten. Und zur Zeit werden rund 500 geplante Terroranschläge untersucht.

(RP)
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