Streit um Hoheitsrechte Nach dem Brexit droht ein Kabeljau-Krieg

Peterhead · Ende 2020 verlieren auch die Abmachungen zur Fischerei zwischen der EU und Großbritannien ihre Gültigkeit. Eine Neuregelung ist nicht in Sicht.

 Der britische Premier Boris Johnson besichtigt einen Fischkutter im Hafen von Peterhead bei Aberdeen.

Der britische Premier Boris Johnson besichtigt einen Fischkutter im Hafen von Peterhead bei Aberdeen.

Foto: picture alliance / empics/Duncan McGlynn

(dpa) Netze kappen, Abdrängen und Rammen – wenn sich Fischer auf hoher See in die Quere kommen, kann das zu gefährlichen Auseinandersetzungen führen. Erst im vergangenen Sommer lieferten sich französische und britische Fischer Scharmützel im Ärmelkanal. Als Geschosse dienten unter anderem Steine, Farbdosen und Leuchtraketen. Es ging dabei um Jakobsmuscheln, deren Schonzeit die Briten in den Augen ihrer französischen Kollegen nicht einhielten.

Nicht nur wegen hitziger Gemüter steht die Frage nach den Fischereirechten ganz oben auf der Agenda bei den Verhandlungen über die neuen Beziehungen zwischen Brüssel und London nach dem Brexit. Am 31. Januar verlässt Großbritannien die Staatengemeinschaft. Bis Ende des Jahres gilt noch eine Übergangsfrist, doch dann müssen neue Vereinbarungen stehen. Die EU will das Thema Fischerei möglichst schon bis zum 1. Juli geklärt haben. Doch ob das gelingt, ist fraglich. Die Positionen scheinen noch sehr weit auseinander zu liegen.

Ziel der EU ist, dass sich möglichst wenig ändert und man die Fischgründe nach festgelegten Regeln gemeinsam nutzt. In Großbritannien will man davon aber zumindest offiziell nichts wissen. Er werde „die Kontrolle über unsere Fischereigewässer zurückholen“, poltert der britische Premierminister Boris Johnson gerne.

Tatsächlich kann Großbritannien nach internationalem Recht einen Bereich von bis zu 200 Seemeilen um seine Küsten als ausschließliche Wirtschaftszone beanspruchen – und davon sind ausgerechnet die fischreichsten Gebiete der Nordsee betroffen. Doch „zurückholen“ ist nicht ganz richtig, denn die Ausdehnung der ausschließlichen Wirtschaftszone von einst nur zwölf auf 200 Seemeilen wurde erst eingeführt, als Großbritannien bereits Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war.

Von der EU wird festgelegt, wie viel Fisch von jeder Sorte gefangen werden darf. Entschieden wird das jedes Jahr auf Grundlage der Entwicklung der Fischbestände. Welcher Anteil auf die einzelnen Staaten entfällt, orientiert sich an traditionellen Fangmengen. Auch durch weitere Vorschriften wie die Maschengröße der Netze, soll verhindert werden, dass die teilweise bereits stark dezimierten Bestände weiter schrumpfen.

Doch daran wollen sich die Briten nun nicht mehr halten. Sollte keine Vereinbarung zustande kommen, könnte das auch für die deutschen Fischer drastische Folgen haben. „Wenn das Fischereiabkommen nicht bis Ende 2020 ratifiziert ist, dürfen wir nicht mehr in britische Gewässer fahren“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Hochseefischerei-Verbandes, Uwe Richter.

Unter anderem der gesamte Nordseehering, der in Sassnitz auf Rügen bei der Euro-Baltic Fischverarbeitungs GmbH verarbeitet wird, stammt Richter zufolge aus britischen Gewässern. „Das sind zirka 40.000 Tonnen“, sagte er. Auch Frankreich, Irland, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Spanien wären stark betroffen. Insgesamt wird rund 60 Prozent des Fischs in britischen Gewässern von Booten anderer EU-Staaten gefangen.

Ohne Einigung, so schätzt die britische Regierung, könnten bis zu 282 europäische Boote versuchen, illegal in britischen Wassern zu fischen. Das könne zu Auseinandersetzungen führen, warnt sie. In den Medien war bereits von möglichen neuen Kabeljau-Kriegen die Rede. Bis in die 70er-Jahre war es vor der Küste Islands zwischen britischen Fischern und einheimischen Booten immer wieder zu Konflikten gekommen.

Möglich ist aber auch, dass sich die britische Regierung doch auf die wirtschaftliche Vernunft besinnt. Wie das aussehen könnte, deutete EU-Handelskommissar Phil Hogan kürzlich an. Die enorm wichtige britische Finanzdienstleistungsbranche könnte Zugang zum EU-Binnenmarkt bekommen. Im Gegenzug dürften die EU-Fischer weiter ihre Netze in britischen Gewässern auswerfen. Die Fischerei macht nur etwa 0,12 Prozent des britischen Bruttoinlandprodukt aus – die Finanzdienstleistungen steht für sieben Prozent.

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