Mutmaßlich Spionage der Chinesen Absage wegen Ballon-Affäre – US-Außenminister Blinken reist nicht nach Peking
Washington · Ein chinesischer Spionageballon über der Prärie von Montana sorgt für Aufregung in den USA. Und hat ein diplomatisches Nachspiel. Antony Blinken verschiebt seinen für Sonntag geplanten Besuch in Peking, dem ersten eines US-Außenministers seit 2018.
Chase Doak zückte sein Telefon und fotografierte die weiße Scheibe, die er von seinem Büro am „Big Sky“ genannten blauen Himmel über Montana klar sehen konnte. Für den Mond war der Kreis zu klein und die Tageszeit falsch. „Ich dachte wirklich, das sei ein UFO“, erzählt der Angestellte aus der Hauptstadt Billings einem Reporter des öffentlichen Radiosenders NPR. „Deswegen habe ich so viele Bilder wie möglich gemacht.“
Auch Piloten ziviler Passagierflugzeuge hatten „dieses Ding“ weit oberhalb ihrer Flughöhe gesehen, das sich über die Aleuten-Inseln von Alaska und Kanada Richtung Montana bewegte. Die US-Streitkräfte ließen F-22-Kampfflugzeuge aufsteigen, um sich das unbekannte Flugobjekt genauer anzuschauen. Die Experten des Pentagon sahen darauf ihren Verdacht bestätigt. Das vermeidliche UFO war ein Spionageballon der Chinesen.
Am Donnerstagabend bestätigte der Sprecher des Pentagon, Brigadegeneral Pat Ryder, offiziell, dass sich der Aufklärungsballon durch amerikanischen Luftraum Richtung Südosten bewegt. Spionage aus der Luft sei prinzipiell nicht ungewöhnlich, sagte Ryder, der natürlich weiß, dass auch die USA über chinesischem Staatsgebiet Aufklärung betreiben. Aber dieser Fall sei wegen der Dauer des Aufenthalts und der zurückgelegten Strecke anders.
Die Streitkräfte informierten umgehend US-Präsident Joe Biden. Verteidigungsminister Lloyd Austin berief auf Reisen in den Philippinen seine Generäle zusammen, um das Vorgehen zu beraten. Aus Vorsicht stellte der „Logan International Airport“ in Billings Starts und Landungen vorübergehend ein. Der „Joint Chiefs of Staff“, General Mark Milley, riet davon ab, den Spionageballon vom Himmel zu holen. Das Risiko von Schaden durch auf die Erde fallende Trümmer des Ballons sei zu groß.
Später informierte ein „hoher Mitarbeiter“ des Pentagon die Medien, dass die Geheimdienste das Risiko nicht allzu hoch einschätzen. Der Ballon liefere den Chinesen „keinen nennenswerten Mehrwert“ gegenüber den Fähigkeiten von Satelliten in der niedrigen Erdumlaufbahn. Unbeantwortet blieb die Frage, wonach er hoch über der Prärie von Montana suchte.
Für unabhängige Analysten liegt die Antwort auf der Hand. Dort befindet sich einer von drei Stützpunkten, in deren Silos die Interkontinentalraketen der USA stecken. Auf der „Malmstrom Air Force Base“ lagert der „341st Missile Wing“ rund 150 Raketen vom Typ Minuteman III samt dazugehörigen Gefechtsköpfen.
Bedenklicher als der tatsächliche Nutzen der chinesischen Aufklärung ist der politische Schaden des Vorfalls. US-Außenminister Blinken sagte seine Reise nach Peking kurzfristig ab. Dort wollte er eigentlich bei Gesprächen mit Präsident Xi Jinping versuchen, die angespannten Beziehungen zwischen der größten und zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu entschärfen. Einen neuen Termin gibt es nicht.
Das chinesische Außenministerium widersprach der Darstellung, dass es sich um einen Spionageballon handele. Tatsächlich würden nur „meteorologische Daten“ gesammelt. Sprecherin Mao Ning spielte die politische Dimension der Ballon-Affäre herunter: „Wir hoffen, dass beide Seiten die Sache mit einem kühlen Kopf behandeln.“
Nach einem Briefing der sogenannten „Gang of Eight“, zu der die Kongressführer und Spitzen der Geheimdienst-Komitees von Senat und Repräsentantenhaus gehören, sprach der republikanische Speaker Kevin McCarthy von einer „destabilisierende Aktion“, die angegangen werden müsse. „Präsident Biden darf nicht schweigen“.
Die Antwort aus dem Weißen Haus kam indirekt in Form der Reiseabsage Blinkens. Aus Sicht von Beobachtern eine sinnvolle Entscheidung, weil der Vorfall kein idealer Ausgangspunkt für Gespräche eine substanzielle Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und China gewesen wäre.