Ägyptischer Präsident Mursi steht vor seiner Bewährungsprobe

Düsseldorf · Brückenbauer oder "neuer Pharao"? Ägyptens Präsident Mohammed Mursi verliert rapide an Rückhalt in der Bevölkerung. Jetzt muss sich zeigen, ob er das Zeug zum Reformer hat.

Mohammed Mursi - Ex-Präsident und Muslimbruder
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Ende des Monats reist Ägyptens Staatspräsident Mohammed Mursi (61) auf Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Berlin. Mursi wird von einer Unternehmerdelegation begleitet. Es geht um die wirtschaftliche Zusammenarbeit und um Investitionen.

Doch die Kanzlerin wird vor allem auf Fortschritte beim Demokratieaufbau in Ägypten dringen. Sie weiß nach den schweren Unruhen der vergangenen Monate, dass Demokratie und Pluralismus am Nil noch lange nicht Fuß gefasst haben. Sie weiß, wie wichtig ein politisch und sozial stabilisiertes Ägypten für den gesamten Nahen Osten ist — und welchen Beitrag Deutschland dafür leisten kann.

Mursi hat nach dem dramatischen Kampf um die neue, islamistisch geprägte Verfassung Ägyptens pathetisch die Einheit des Landes beschworen. Wird er als Spalter oder als Brückenbauer zwischen den verfeindeten Gesellschaftsgruppen in die Geschichte eingehen? Er ist der erste demokratisch gewählte Führer Ägyptens seit Menschengedenken. Schon das macht ihn geschichtsbuchwürdig. Die Welle der "Arabellion", die im Februar 2011 den Langzeitdiktator Hosni Mubarak weggespült hatte, hat Mursi an die Macht getragen.

Und plötzlich schrillten die Alarmglocken

Hoffnungen auf endlich bessere Lebensbedingungen für die mehr als 80 Millionen Ägypter waren durch den arabischen Frühling geweckt worden, aber auch tiefsitzende Ängste verstärkten sich, dass es am Ende doch nur für einen Etikettenwechsel an der Staatsspitze reichen würde und nicht für einen Aufbruch in die von vielen ersehnte offene Demokratie. Die Stimmung in Ägypten bleibt bis heute aufgeheizt. Fast täglich wird gegen die Politik des neuen Präsidenten protestiert. Der Staat antwortet mit massivem Einsatz seiner Sicherheitskräfte. Es kommt zu Toten und Verletzen.

Der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei sieht in Mursi schon einen "neuen Pharao". Als ElBaradei das sagte, hatte Mursi verfügt, dass Dekrete und Gesetze bis zur Verabschiedung der neuen Verfassung nicht durch die Justiz angefochten werden können. Die Opposition mobilisierte die Straße gegen die Abschaffung der Gewaltenteilung. Nach drei Wochen nahm der Präsident seine Erlasse zurück.

Mohammed Mursi ist ein ambivalenter Politiker, der für die islamistischen Muslimbrüder im Kampf um die Staatsspitze angetreten war. Eigentlich war er nur zweite Wahl. Er war Ersatzmann. Die Islamisten hatten Chairat al Schater ins Rennen um das höchste Staatsamt schicken wollen. Da die Wahlkommission ihn jedoch vom Wettbewerb ausgeschlossen hatte, bekam Mursi die Chance seines Lebens. "Ersatzeifen" ist seither sein politischer Spitzname in Ägypten.

Er verschreckte gleich nach seiner Nominierung alle Optimisten des "Arabischen Frühlings" mit der Muslimbrüder-Parole "Der Islam ist die Lösung". Er wolle sie in seiner Politik umsetzen, wenn auch mit "moderaten islamischen Zügen", sagte er. Bei den rund acht Millionen Christen im Land, bei Liberalen, den Frauen, bei Minderheiten schrillten die Alarmglocken.

Angst kam auf, Mursi könnte ihre Freiheitsrechte einschränken, gar abschaffen. Im zweiten Wahlgang Mitte Juni setzte sich der Hoffnungsträger der Muslimbrüder mit 51,8 Prozent der Stimmen gegen Luftwaffengeneral Ahmed Schafik, Mubaraks letzten Ministerpräsidenten, durch. War das der Beginn der Islamisierung auf der Basis der Scharia-Rechtsordnung?

Mehr als ein Viertel lebt in Armut

Die neue Verfassung ist inzwischen in Kraft getreten. Der von den Islamisten beherrschte Schufa-Rat hat vorübergehend die Gesetzgebungskompetenz. Parlamentswahlen müssen innerhalb von zwei Monaten abgehalten werden. Die noch alles bestimmenden Muslimbrüder — Mursi hat seine Mitgliedschaft nach seiner Wahl aufgegeben — fürchten herbe Stimmeneinbußen, weil der Präsident bisher viele Versprechen aus dem Wahlkampf nicht umgesetzt hat.

Mehr als ein Viertel der Menschen lebt in Armut. Fast die Hälfte der Ägypter muss mit rund zwei Dollar (1,50 Euro) am Tag auskommen, und die Lebensmittelpreise steigen. Die Wirtschaft liegt am Boden. Immer mehr Ägypter wenden sich von Mursi ab. Die Rating-Agentur Standard & Poor's hat die Kreditwürdigkeit des Landes bereits herabgestuft. Das ägyptische Pfund verfällt, die Goldreserven der Zentralbank schmelzen wie Schnee in der Sonne. Aus Angst vor weiterer Kapitalflucht hat die Regierung verfügt, dass nur noch maximal 10.000 US-Dollar ausgeführt werden dürfen. Der Tourismus als wichtigste Einnahmequelle des Landes ist dramatisch eingebrochen.

Mursi steht mit dem Rücken zur Wand. Er muss die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und hofft dabei auf deutsche und europäische Hilfe — die EU ist Ägyptens größter Handelspartner. Mursi darf die liberale Opposition und das Ausland nicht durch sein stures Festhalten an den Doktrinen der Muslimbrüder verprellen. Bald wird sich zeigen, ob er das Zeug zum Reformer hat — oder ob er doch nur der Restaurator einer rückwärtsgewandten Politik ist.

(RP/das)
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