Russland Zehntausende demonstrieren für freie Kommunalwahlen in Moskau

Moskau · In Russlands Hauptstadt Moskau haben am Samstag zehntausende Anhänger der Opposition für freie und faire Kommunalwahlen demonstriert. Die Nichtregierungsorganisation White Counter gab die Zahl der Teilnehmer mit 40.000 an, die Polizei sprach von 20.000.

 Zehntausende demonstrieren am 10. August 2019 auf den Straßen Moskaus.

Zehntausende demonstrieren am 10. August 2019 auf den Straßen Moskaus.

Foto: AP/Alexander Zemlianichenko

Nach Zahlen des Bürgerrechtsportals OWD-Info nahm die Polizei landesweit bei den Solidaritätskundgebungen für die Moskauer Proteste rund 250 Menschen in Gewahrsam. 86 Festnahmen wurden demnach in der nordrussischen Stadt St. Petersburg gezählt. In der Hauptstadt seien es 150 gewesen. Die Polizei sprach von 136 bis zum Abend.

In den vergangenen Wochen waren bei nicht genehmigten Kundgebungen fast 2400 Menschen festgenommen worden; die Behörden ermitteln wegen "Massenunruhen". Am Samstag waren starke Polizeikräfte im Einsatz.

Vier Wochen vor der anstehenden Kommunalwahl versammelten sich die Kundgebungsteilnehmer auf der Andreja-Sacharowa-Straße im Zentrum von Moskau. Sie trugen Plakate mit Aufschriften wie "Gebt uns das Recht zu wählen!" und "Ihr habt uns genug belogen!" Der bekannte Rapper Oxxxymiron nahm an der Demonstration teil und trug ein T-Shirt mit einem Foto des inhaftierten Studenten Jegor Schukow. Der Rapper Face sagte, er trete bei der Veranstaltung auf, damit "meine Leute Freiheit und das Recht zum Wählen haben".

"Ich bin außer mir über diese Ungerechtigkeit an allen Ecken", schimpfte die 60-jährige Ingenieurin Irina Dargolz. "Sie lassen Kandidaten nicht zur Wahl zu, die die erforderlichen Unterschriften gesammelt haben, sie nehmen Menschen fest, die friedlich protestieren." Zahlreiche Oppositionskandidaten waren wegen angeblicher formaler Mängel von der Kommunalwahl in Moskau ausgeschlossen worden. Es fühle sich für ihn so an, als sei "das Land ein Gefangener" und seine Bürger "Geiseln", sagte der Aktivist Dmitri Chobbotowski.

Der inhaftierte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ließ über soziale Medien einen Aufruf an die Demonstranten verbreiten, sie sollten nach der Kundgebung zu "Spaziergängen" in Moskau aufbrechen. Die Polizei warnte vor derartigen Protestformen und drohte an, Teilnehmer von illegalen Aktionen festzunehmen.

Die USA und die EU hatten Russland für das brutale Vorgehen gegen Aktivisten bei den jüngsten Protesten kritisiert. Polizeikräfte waren mit Schlagstöcken auf die Aktivisten losgegangen. Nawalny war Ende Juli wegen des Aufrufs zu nicht genehmigten Demonstrationen festgenommen und zu 30 Tagen Haft verurteilt worden.

"Sie brauchen Blut", schrieb die Kreml-treue "Komsomolskaja Prawda" mit Blick auf die Kundgebung am Samstag. Die Tageszeitung "Wedomosti" hingegen räumte ein, dass sich ein "Großteil der Gesellschaft" durch das Regierungssystem unter Präsident Wladimir Putin "nicht repräsentiert" sehe. Daher werde "Repression" die Unzufriedenheit allenfalls "dämpfen" können, aber nicht "das Problem an der Wurzel fassen".

Die russischen Behörden hatten ihr Vorgehen gegen Nawalny zuletzt verschärft. Am Donnerstag wurden die Konten von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung sowie von einigen seiner Unterstützer eingefroren. Zudem durchsuchte die Polizei Wohnungen von Nawalny-Vertrauten. "Was wir jetzt sehen, ist der bisher aggressivste Versuch, uns zum Schweigen zu bringen", schrieb Nawalny daraufhin in seinem Blog.

Die Anwältin Ljubow Sobol, die für die Stiftung Nawalnys arbeitet, befindet sich seit Wochen im Hungerstreik. Sie teilte über soziale Medien mit, sie sei am Samstagmorgen in ihrem Büro festgenommen worden. Tags zuvor hatte sie den Behörden "politische Einschüchterung und Repression" vorgeworfen.

Nawalnys Stiftung löst regelmäßig Ermittlungen im Zusammenhang mit dem dekadenten Lebensstil und mit Korruptionsvorwürfen gegen die russische Elite aus. Während die öffentlich-rechtlichen Medien diese weitgehend ignorieren, ist die Stiftung in den sozialen Medien sehr präsent. Ihre Veröffentlichungen haben dort eine enorme Reichweite. Ein Beitrag, der den russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew als Kopf eines Immobilienimperiums anprangert, wurde auf Youtube 31,5 Millionen Mal angeklickt.

(felt/AFP)
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