Bewegende Rede einer jungen Nordkoreanerin "Mit sieben sah ich die erste Hinrichtung"

Düsseldorf · In einer bewegenden Ansprache berichtet Hyeonseo Lee von ihrer Flucht aus ihrem Heimatland Nordkorea. Sie erlebte Hunger, Hinrichtungen und Unterdrückung. Sie musste ohne Strom im Dunkeln ausharren – bis sie sich zur Flucht entschied. Es war ein langer Weg in die Freiheit.

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In einer bewegenden Ansprache berichtet Hyeonseo Lee von ihrer Flucht aus ihrem Heimatland Nordkorea. Sie erlebte Hunger, Hinrichtungen und Unterdrückung. Sie musste ohne Strom im Dunkeln ausharren — bis sie sich zur Flucht entschied. Es war ein langer Weg in die Freiheit.

"Als ich klein war, dachte ich, mein Land sei das Beste der Welt" — schon bei ihrem ersten Satz merkt man Hyeonseo Lee an, wie schwer ihr die Worte in der Rückschau fallen. Heute, 16 Jahre nach ihrer Flucht vor dem Regime Pjöngjangs nach China, sieht die Nordkoreanerin ihr Heimatland mit gänzlich anderen Augen.

Mit zittender Stimme berichtet sie bei einer Veranstaltung in Long Beach in den USA von ihren Erinnerungen an ein abgeschottetes Land. Ihre tägliche Angst. Hungersnöte. Tote Menschen. Es ist eine bewegende Rede, knapp zwölf Minuten lang, die einen persönlichen und erschütternden Eindruck gibt, wie das stalinistische Regime mit seinen Menschen umgeht.

Früh wurde Lee von der Obrigkeit eingetrichtert, wer die Feinde Pjöngjangs sind: "Amerika, Südkorea und Japan." Damals wollte sie ihr Leben lang in Nordkorea bleiben. Ein einziger Moment veränderte ihre Sichtweise komplett. "Mit sieben Jahren sah ich zum ersten Mal eine öffentliche Hinrichtung", erzählt Lee.

Auch in China blieb die Angst

Im Jahr 1995 erhielt ihre Mutter einen Brief von der Schwester einer Kollegin. Darin stand: "Wenn ihr das hier lest, werden unsere fünf Familienmitglieder nicht mehr auf dieser Welt sein, weil wir seit zwei Wochen nichts mehr gegessen haben. Wir liegen zusammen auf dem Boden, und unsere Körper sind so schwach, dass wir bald sterben werden." Auf der Bühne kämpft die junge Frau mit den Tränen.

Auf dem Weg zum Bahnhof erlebte sie noch Schockierendes. Etwas, dass sie seither nicht mehr aus ihrem Gedächtnis löschen kann. "Eine leblose Frau lag auf dem Boden, und ein abgemagertes Kind in ihren Arm blickte hilflos in das Gesicht seiner Mutter. Aber niemand half ihnen." Lees Erzählungen sind schauerlich. Und sie regen zum Nachdenken an.

Sie entschied sich zu einer riskanten Flucht ins benachbarte China. Doch auch dort musste sie in ständiger Angst leben, denn dort gelten "Flüchtlinge aus Nordkorea als illegale Immigranten". Dann passierte es: Die chinesischen Behörden nahmen sie fest und verhörten sie auf der Wache. "Ich dachte, mein Herz wird explodieren", erinnert sich Lee in Long Beach. "Ich dachte, es wäre das Ende meines Lebens."

Das wurde es nicht. "Ich hatte meine Gefühle im Griff" — und so wurde sie von der Polizei auf freien Fuß gelassen. Dieses "Glück" hätten viele tausend Frauen aus Nordkorea nicht gehabt. Sie wurden von den Behörden zurückgeschickt und in Nordkorea verhaftet, gefoltert oder öffentlich hingerichtet.

Mit einer Identitätskrise ins neue Leben

Nach zehn Jahren des Versteckens entschied sich Lee zu einem weiteren, riskanten Schritt in ihrem Leben. Sie wagte die Einreise zum Systemfeind Südkorea. "Dort begann ich ein neues Leben." Mit Englisch musste sie ihre dritte Sprache erlernen, und sie erkannte immense Unterschiede zwischen dem Norden und den Süden. "Ich durchlief eine Identitätskrise. Woher komme ich? Wer bin ich?"

Sie schaffte den Neuanfang. Sie verdiente Geld, das sie an ihre notleidende Familie schickte. Bis sie ein Anruf aus dem Norden aus der Bahn warf. Die nordkoreanischen Behörden hatten das Geld abgegriffen. Als Strafe wurden die Familie in eine abgelegene Region Nordkoreas umgesiedelt. Lee gelang es, über China nach Nordkorea zu reisen und ihrer Familie die Flucht zu ermöglichen.

Allein die Fahrt mit dem Bus durch China dauerte eine Woche. "Wir schafften es bis zur laotischen Grenze." Doch auch dort nahm die Tortur für Lee und ihre Familie kein Ende. Kurz vor der südkoreanischen Botschaft wurden sie inhaftiert. "Es war der größte Rückschlag in meinem Leben, so kurz vor der Freiheit." Lee fehlte es an Geld, um ihre Familie aus dem Gefängnis frei zu kaufen.

Schließlich kam ihr ein unbekannter Mann zur Hilfe, der ihr anbot, Geld am Automaten zu holen, um das restliche Geld aufzubringen und Lees Familie zu befreien. Der Mann erklärte, er helfe nicht ihr, er helfe den nordkoreanischen Menschen. "Das war ein symbolischer Moment in meinem Leben." Der dazu führte, dass sie sich seitdem für die unterdrückten Menschen aus ihrem abgeschotteten Land engagierte. Lee ist Aktivistin.

(nbe)
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