Clans in Südosttürkei beenden Fehde Mit 14 zu Heirat gezwungen

Istanbul (RPO). In der Südosttürkei legen zwei Clans ihre erbitterte Fehde bei - auf Kosten zweier junger Familienmitglieder, die zur Hochzeit gezwungen werden. Der Bräutigam ist 14, die Braut 17 Jahre alt.

Für zwei junge Leute im Südosten der Türkei ist der Tag ihrer Hochzeit zum schwärzesten Tag ihres Lebens geworden. "Ich hatte Träume", sagt die 17-jährige Braut. "Aber die sind jetzt dahin." Auch ihr drei Jahre jüngerer Bräutigam wehrte sich vergeblich gegen die Eheschließung. Er geht noch zur Schule, wollte Lehrer werden und später einmal aus Liebe heiraten. Jetzt sagt er: "Es gibt kein Zurück mehr." Die zwei Kinder im südostanatolischen Diyarbakir wurden zu unfreiweilligen Hauptpersonen einer Zwangsheirat. Ihre verfeindeten Familien legten damit einen Streit bei, der sonst wahrscheinlich in einen blutigen Kleinkrieg umgeschlagen wäre. Obwohl sie das Leben der beiden Teenager zerstört haben, sind sich die Erwachsenen keiner Schuld bewusst. "Wir haben nur nach unseren Bräuchen gehandelt", sagt die Mutter des Bräutigams.

"Berdel" -Mädchentausch - nennen die Türken die Tradition der Zwangsvermählungen, bei denen ein Junge und ein Mädchen aus der einen Familie mit zwei jungen Leuten aus einer anderen Sippe verheiratet werden. Manchmal wollen die Familien mit der Doppelheirat das sonst fällige Brautgeld sparen, manchmal werden damit Streitigkeiten beigelegt. Gefragt werden die Brautleute in keinem Fall. In Seifenopern im türkischen Fernsehen kommt der Brauch hin und wieder in Herzschmerz-Geschichten vor, doch im armen und sozial rückständigen Südosten des Landes ist er harte Realität. Umfragen zufolge fürchten sich 90 Prozent der jungen Frauen im südostanatolischen Kurdengebiet vor einer Zwangsheirat.

Die Angst ist berechtigt, wie der Fall der beiden Kinder aus zwei Dörfern in der Gegend um Diyarbakir zeigt. Die Geschichte von Halide und Mehmet (die Namen der minderjährigen Brautleute wurden geändert, d. Red.) begann vor etwa einem halben Jahr. Damals brannte Halides älterer Bruder mit einer Schwester von Mehmet durch, weil Mehmets Familie gegen eine Eheschließung war. Die beiden Familien gerieten durch die abenteuerliche Flucht des Pärchens an den Rand einer Blutfehde. Nach langen Verhandlungen einigten sich die Sippen darauf, den Streit durch die Vermählung von Halide und Mehmet sowie die Zahlung von 10.000 Lira (5000 Euro) an Mehmets Familie aus der Welt zu schaffen.

Halide wurde erst eingeweiht, als alles schon beschlossen war. Sie fiel aus allen Wolken, als sie von der Entscheidung erfuhr. "Wir haben dich weggegeben und auch noch 10.000 Lira dazu bezahlt", habe ihr Vater eines Tages zu ihr gesagt, berichtete Halide der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Sie weinte und wehrte sich, doch es half nichts. "Wenn ich nicht einverstanden gewesen wäre, hätten sich die Leute aus beiden Familien gegenseitig umgebracht", sagte sie.

Auch Mehmet, der in die achte Klasse geht, ist unglücklich, auch er flehte seine Familie vergebens an, die Zwangsheirat abzusagen. "Das alles kommt mir sehr falsch vor." Nach dem Gesetz liegt das Mindestalter für Eheschließungen in der Türkei bei 17 Jahren; auf richterliche Anordnung kann in Ausnahmefällen eine Hochzeit mit 16 Jahren hingenommen werden.

Der 14-jährige Mehmet ist also auf jeden Fall zu jung - doch das kümmerte die Familien nicht: Mehmets Ehe mit Halide wurde nach islamischen Ritus von einem Imam geschlossen. Auch wenn sie offiziell ungültig sind, werden solche Imam-Ehen in ländlichen Gegenden der Türkei als rechtmäßig angesehen.

Halide und Mehmet versuchen unterdessen, sich mit ihrem Schicksal zu arrangieren. Halide, die eigentlich erst mit 25 Jahren heiraten wollte, hat sich nach eigenen Worten inzwischen mit der Zwangsvermählung abgefunden. "Manchmal bin ich noch richtig sauer auf meine Familie", sagt das Mädchen. Doch es klingt mehr nach Resignation als nach Wut.

(Thomas Seibert)
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