Neues Buch löst Wirbel in den USA aus Michelle Obama — missverstandene First Lady?

Washington · Die Frau des US-Präsidenten geht nach dem Erscheinen eines Buches über Flügelkämpfe im Weißen Haus in die Medienoffensive: Sie sei nicht die zornige Schwarze, als die man sie bisweilen darstelle. Das Buch "The Obamas" schildert aber ihre starke politische Einflussnahme.

Michelle Obama spurtet los
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Nein, sagt Michelle Obama, in manchen Karikaturen erkenne sie sich einfach nicht wieder. Was sie meint, sind Karikaturen wie einst die im "New Yorker", die sie als Black-Panther-Rebellin mit umgehängter Flinte, mit Patronengürtel und geballter Faust zeigen . Seit ihr Mann an den Start des Rennens ums Weiße Haus ging, hafte ihr dieses merkwürdige Etikett an, "dass ich so eine zornige schwarze Frau bin". "Dabei versuche ich einfach nur, ich selbst zu sein", fügt sie hinzu, als sie mit Gayle King, einer Moderatorin des Fernsehsenders CBS, über den Alltag in der Machtzentrale spricht.

Seit ein paar Tagen sucht sie die Medienoffensive, die First Lady, die Geschichte schrieb und zugleich glaubt, die Journaille stecke sie allzu schnell in eine gewisse Schublade. Noch ihre Urgroßeltern schufteten als Sklaven auf den Reisfeldern und Baumwollplantagen South Carolinas. Sie selber studierte in Harvard, ist politisch enorm engagiert, keine dauerlächelnde, rote Bänder durchschneidende, Wohltätigkeitsbälle organisierende Ergänzung ihres Mannes.

Es war von vornherein klar, dass sich der konservativere Teil Amerikas reiben würde an der selbstbewussten Akademikerin, der ersten Afroamerikanerin in der Beletage des Weißen Hauses. Doch seit ein paar Tagen sind Reibungen anderer Art das große Thema in Washington: die Reibungen zwischen dem Westflügel, wo die Mitarbeiter des Präsidenten sitzen, und dem Ostflügel, in dem die Erste Dame bestimmt. Die New-York-Times Reporterin Jodi Kantor hat ein Buch darüber geschrieben. Stellenweise liest es sich wie eine Chronologie von Intrigen, Manövern und Missverständnissen.

Im Kern skizziert es eine Michelle Obama, die ihre intime Nähe zum Chef nutzt, um ihre Ansichten gegen dessen Stab durchzusetzen — aufgehängt an einem Schlüsselerlebnis: Januar 2010, im liberalen Ostküstenstaat Massachusetts hat der Republikaner Scott Brown den "Kennedy-Sitz" gewonnen, das Mandat des verstorbenen Ted Kennedy, das die Demokraten gepachtet zu haben glaubten.

Mit dem Paukenschlag verliert Obamas Partei jene 60-Sitze-Mehrheit im Senat, die sie braucht, um die umstrittene Gesundheitsreform rasch durchzusetzen. Der Präsident trägt es mit Fassung, es ist ohnehin nicht seine Art, anderen die Schuld an Fehlschlägen zu geben. Seine Gattin dagegen kann nicht begreifen, warum der Apparat nicht mehr getan hatte, um die Schlappe noch abzuwenden.

Sie nimmt es als neuerlichen Beweis dafür, dass sich ihr Mann schon viel zu lange auf eine kleine Gruppe von engstirnigen, kurzsichtigen und schlecht organisierten Beratern verlässt. "Sie hat das Gefühl, dass wir die Segel nicht richtig gesetzt haben", lässt Obama seine Vertrauten wissen.

Als die Runde um den taktisch gewieften Stabschef Rahm Emanuel dazu rät, die kostspielige Reform auf Eis zu legen, um die Wähler der Mitte nicht zu verprellen, sieht sie windelweiche Kompromisskünstler am Werk. Energisch beschwört sie ihren Gatten, Rückgrat zu zeigen. Und der hört auf sie, nicht auf seine Berater.

So erzählt Kantor die Geschichte, wozu sie Obamas Wahlstrategen David Axelrod als Kronzeugen anführt. "Sie hat viel in Barack investiert, sie hat ein Gefühl dafür, wie hart er arbeitet. Sie will sichergehen, dass auch die anderen einen guten Job machen", sagt Axelrod. Susan Sher, einst die Chefassistentin Michelles, wird mit Sätzen zitiert, die klingen wie das Credo einer Eisernen Lady im Dienste der Schwachen: "Sie glaubt, dass es Schlimmeres gibt, als eine Wahl zu verlieren. Sich treu zu bleiben, das ist für sie eindeutig wichtiger."

Mittelmaß, schildert ein Insider, dulde die First Lady nicht. Stoße sie auf Schlendrian oder Bequemlichkeit, könne sie richtig ungemütlich werden. "Sie denkt, jeder lauert nur darauf, dass eine schwarze Frau einen Fehler macht."

Dass das Weiße Haus keine Traumadresse ist und das Leben dort ein sehr isoliertes sein kann, daraus macht Michelle Obama keinerlei Hehl. Kugelsicheres Fensterglas, auf dem Dach Scharfschützen, jede Fahrt zum schulischen Fußballtraining der Töchter kann schnell zu einem mittleren Staatsakt werden. Malia und Sasha wollten schon gar nicht mehr, dass ihr Vater Elternsprechstunden besuche, "denn wenn er kommt, ist es gleich eine ganze Autokolonne".

Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, hat Michelle Obama sich nicht gesehnt nach so einem Leben. Nach Kantors Recherchen versuchte sie, den Umzug nach Washington 2009 um sechs Monate aufzuschieben, damit ihre Töchter das Schuljahr in Chicago beenden konnten. Daraus wurde nichts, und an den Tücken der Realität zerschellte auch der schöne Plan, alle paar Wochen zurück in die alte Heimat zu reisen.

(RP/csi/jre/rm)
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