Deutschland verzichtet vorerst auf EM-Boykott Merkel: Timoschenko soll schnell behandelt werden

Berlin · Die Bundesregierung will die erkrankte ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko zur ärztlichen Behandlung nach Deutschland holen. Es sei wichtig, "alles dafür zu tun", dass Timoschenko "schnell die richtige Behandlung für ihre Erkrankung bekommt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview.

Zu Besuch vor Timoschenkos Gefängnis in Charkow
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Das Angebot der Bundesregierung für eine medizinische Betreuung in Deutschland stehe, sagte Merkel dem dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Insgesamt gebe die rechtsstaatliche Lage in der Ukraine "Grund zur Sorge", sagte die CDU-Politikerin weiter. Ob sie zu den Spielen der Fußball-Europameisterschaft im Juni anreisen wird, ließ die Kanzlerin offen: "So etwas entscheide ich immer kurzfristig."

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erteilte einem EM-Boykott der Politiker vorerst eine Absage. Andere europäische Regierungen wie Österreich und die Niederlande kündigten indes an, auf einen Ukraine-Besuch zum Turnier verzichten zu wollen. Die Spiele finden vom 8. Juni bis 1. Juli in der Ukraine und in Polen statt.

Timoschenko protestiert seit Tagen mit einem Hungerstreik gegen ihre Haft und soll ernsthaft erkrankt sein. Westerwelle sagte, statt über Boykotte zu reden, sollte konkrete Unterstützung für die ukrainische Oppositionspolitikerin im Mittelpunkt stehen. "Wir sollten nicht über Reisepläne in sechs Wochen reden, sondern sehen, wie wir Frau Timoschenko helfen können", betonte er.

Streit über Staatsbeschwerde gegen Ukraine

Für neuen Zündstoff sorgte der CDU-Außenexperte Philipp Mißfelder, der eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ins Gespräch gebracht hatte. Die Bundesregierung und die EU-Partner sollten eine Staatsbeschwerde gegen die Ukraine prüfen, sagte er in Berlin. Eine mögliche Klage sollte das Gerichtsverfahren und die Haftbedingungen der ehemaligen Ministerpräsidentin Timoschenko betreffen. Die Ukraine war 1997 der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten.

Heftiger Widerspruch kam von den Liberalen. "Die Haftbedingungen einer einzelnen Oppositionellen, wie prominent sie auch sein mögen, haben noch nie dazu geführt, dass sich Staat gegen Staat gestellt hat", sagte der Vorsitzende der FDP im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, "Handelsblatt Online". "Und die Vorstellung, Deutschland würde ohne europäische Abstimmung insbesondere mit unseren polnischen Nachbarn eine so massive Konfrontation mit der Ukraine suchen, zeigt, dass die Idee von Herrn Mißfelder, freundlich formuliert, unausgegoren ist."

Seehofer sieht Handlungsbedarf

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer sieht derweil "akuten Handlungsbedarf" für eine "angemessene Behandlung" der erkrankten ukrainischen Oppositionsführerin. "Dem wird sich die ukrainische Regierung nicht entziehen können", sagte er dem "Münchner Merkur". Allerdings zeigte sich Bayerns Staatskanzleichef Thomas Kreuzer (CSU) skeptisch zu Forderungen nach einem politischen Boykott der EM.

Für Entwicklungsminister Dirk Niebel wäre die Drohung mit einem politischen Boykott der Fußball-EM in der Ukraine nur ein letztes Druckmittel. Dem Nachrichtensender N24 sagte der FDP-Politiker, sollte die Regierung in Kiew nicht einlenken, dann wäre es "vielleicht sogar wirksamer, wenn man in einem Fußballstadion, wenn nicht gerade Holland spielt, einen orangefarbenen Schal umlegt".

(APD)
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