Massenproteste in der Türkei Mehr als eine Million Demonstranten in Izmir

Izmir (RP). Ein Meer roter Fahnen vor dem in der Sonne glitzernden Blau der Ägäis: Die jüngste Großdemonstration gegen die türkische Regierung am Sonntag im westtürkischen Izmir bot ein eindrucksvolles Bild.

Massendemo in Izmir
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Foto: AFP

Mehr als eine Million versammelten sich an der Corniche von Izmir, um wie die Teilnehmer ähnlicher Kundgebungen in Ankara und Istanbul in den vergangenen Wochen gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu demonstrieren — aber auch gegen den Westen und dessen angebliche Pläne zur Schwächung des türkischen Nationalstaates.

Erstmals nahmen an der Demonstration die Chefs von drei linksnationalistischen Parteien teil, die sich bei der Parlamentswahl am 22. Juli gegen Erdogan verbünden wollen. Der Ministerpräsident selbst hatte einen Tag zuvor seinen Wahlkampf mit einem Auftritt vor zehntausenden Anhängern im osttürkischen Erzurum eröffnet.

Damit wurden die Unterschiede zwischen beiden Lagern auch geographisch deutlich: Erdogan und seine kleinbürgerlich-fromme Gefolgschaft in Anatolien gegen die kemalistischen Eliten in den Großstädten — Izmir ist die Hochburg der linksnationalen Oppositionspartei CHP von Deniz Baykal.

Zumindest in dieser frühen Phase des Wahlkampfes hat Erdogan nach Umfragen einen großen Vorsprung: Seine AKP liegt je nach Befragung zwischen 30 und 40 Prozent, während die CHP auf etwa 15 Prozent kommt. Selbst zusammen mit den beiden Linksparteien DSP und SHP, deren Chefs am Sonntag wie Baykal in Izmir mitmarschierten, dürfte die CHP kaum mehr als 20 Prozent erreichen können.

"Die Türkei ist laizistisch und wird es bleiben"

Entzündet hatten sich die Massenkundgebungen gegen Erdogan an dem Vorhaben der Regierung, Außenminister Abdullah Gül zum Staatspräsidenten zu machen. Nach Ansicht der Kemalisten würde dies zu einer Islamisierung des Staates führen. "Die Türkei ist laizistisch und wird es bleiben", lautete auch am Sonntag wieder eine immer wieder skandierte Parole.

Noch stärker als zuvor bei den Kundgebungen in Ankara und in Istanbul gab es in Izmir auch eine Art nationalistische Generalabrechnung mit der Regierung Erdogan und ihrer nach Meinung der Demonstranten unpatriotischen Reformpolitik.

"Wir haben in den letzten Jahren zusehen müssen, wie unsere Republik an die Ausländer verscherbelt wird, und nun stehen wir dagegen auf", sagte der CHP-Politiker Sirri Aydogan. "Darum geht es bei dieser Demonstration." Die türkischen Linksnationalisten kritisieren seit langem die Privatisierung von Staatsbetrieben und die Öffnung des Landes für ausländische Investoren. "Lasst uns die AKP an die EU verkaufen", stand auf einem Schild, das in der Menge hochgehalten wurde.

Allerdings hat die türkische Linke ein großes Problem: Sie ist auf mehrere Parteien aufgesplittert, die trotz häufiger Einheitsschwüre miteinander im Streit liegen. So wollen CHP, SHP und DSP zwar gemeinsam gegen Erdogan antreten — doch ihre Parteichefs schafften es am Sonntag in Izmir wegen ihrer persönlichen und politischen Gegensätze nicht, sich gemeinsam auf der Kundgebung zu zeigen. "Ein Schauspiel des Scheiterns", kommentierte der Fernsehsender "SkyTurk".

In der Nähe des Demonstrationsortes in Izmir war am Samstag eine Bombe auf einem Wochenmarkt explodiert. Ein Markthändler starb, ein gutes Dutzend weiterer Menschen wurden verletzt. Die Behörden gehen davon aus, dass die Gewalttat nichts mit der regierungskritischen Kundgebung zu tun hatte. Wahrscheinlicher ist eine Täterschaft kurdischer Extremisten, die in den vergangenen Jahren schon häufiger in Izmir und Umgebung ähnliche Anschläge verübt hatten.

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