Seit einem Jahr im Amt Medwedew — der schweigende Bär

Moskau (RP). Als Dmitri Medwedew vor einem Jahr sein Amt als russischer Präsident antrat, da kursierte in Russland ein Witz: Medwedews Vorgänger Wladimir Putin wird gefragt, ob er sich das Konterfei des neuen Staatsoberhaupts ins Büro hängen wird. "Ach was, mir reicht das Bärenfell auf dem Fußboden", winkt Putin ab. Eine Anspielung auf Medwedews Familiennamen ("medwed" bedeutet auf Russisch Bär) - aber auch darauf, dass der neue Mann im Kreml kaum mehr sein würde als der Fußabtreter für den weiterhin mächtigen Premier Putin.

Putin und Medwedew: Das Bärchen und sein Herrchen
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Seit einem Jahr probieren Medwedew als Staatsoberhaupt und Putin als Premier das Regieren in der Doppelspitze. Zu offenen Dissonanzen oder gar Konflikten zwischen den beiden Männern ist es bislang nicht gekommen. Medwedew versucht, sich mit zaghaften liberalen Vorstößen innerhalb eines autoritären Systems eigene Konturen zu geben. Bisher hat er seinen liberalen Worten aber keine Taten folgen lassen. Und zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sich der 43-jährige Jurist von seinem Mentor Putin emanzipiert hat. "Ich sehe nicht, dass Medwedew den Rückhalt hätte, um sich gegen Putin durchzusetzen", sagt Hans-Henning Schröder, Russland-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. "Daher wäre es für ihn politischer Selbstmord, auf Konfrontationskurs zu Putin zu gehen."

Allerdings konstatiert Schröder auch: In den zweiten sechs Monaten seiner bisherigen Amtszeit hat Medwedew zunehmend versucht, die liberale Karte zu spielen. Im vergangenen November bemängelte der Kremlchef in einer Rede, die Bürokratie sei häufig ein Hindernis für die Pressefreiheit. Einen Monat später düpierte er die Funktionäre der Kremlpartei "Geeintes Russland", als der den oppositionsnahen liberalen Politiker Nikita Belych für das Amt des Gouverneurs in der Region Kirow vorschlug. Als im Januar ein bekannter Menschenrechtsanwalt und eine Journalistin der kremlkritischen "Nowaja Gazeta" in Moskau von einem Killer erschossen wurden, empfing Medwedew den Chefredakteur des Blattes und den Ex-Präsidenten Michail Gorbatschow, der Teilhaber der "Nowaja Gazeta" ist. Öffentlich schwieg der Kremlchef allerdings zu der Bluttat. Wer erwartet hatte, der Präsident werde den politischen Mord verurteilen und rasche Aufklärung fordern, wurde enttäuscht.

Immerhin gab Medwedew ausgerechnet der "Nowaja Gazeta", für die auch die 2006 ermordete Anna Politikowskaja schrieb, vor wenigen Wochen sein erstes Interview. Das hatte hohe Symbolkraft — auch wenn der Präsident in dem Gespräch wenig Neues von sich gab. Nur einmal kritisierte er das Prinzip "Wurst gegen Freiheit" und sagte, Wirtschaftswachstum sei kein Ersatz für das Mitspracherecht der Bürger. Das lässt sich als leichter Seitenhieb gegen Wladimir Putin interpretieren.

An der Realität in Russland hat Medwedews liberale Symbolik aber bislang nichts geändert. Der Kampf gegen die Korruption, die der promovierte Jurist sich bei Amtsantritt auf die Fahnen geschrieben hatte, kommt nicht voran. Daraus kann auch nichts werden - ohne freie Medien, unabhängige Gerichte und mutige Bürger, die bereit sind, korrupte Beamte anzuzeigen. Nach wie vor ist Russland ein Land, in dem politische Morde zur Tagesordnung gehören, wo Menschenrechtler und Journalisten um ihr Leben fürchten müssen und die Opposition unterdrückt wird.

So bleibt die Frage, was Dmitri Medwedew mit seinen liberalen Kommentaren erreichen kann oder überhaupt erreichen will. Skeptiker vermuten, diese Bemerkungen seien nur ein paar helle Tupfer auf dem düsteren Bild des Putin-Systems — gedacht für das Ausland und ein paar naive russische Intellektuelle. Russland-Experte Schröder will aber auch nicht ausschließen, dass Medwedew nach der Methode "trial and error" austestet, wie weit er gehen kann.

"Wenn Medwedew damit Erfolg hat und innerhalb der Machtelite Unterstützung findet, wird er weitere Versuche unternehmen", so seine Prognose. Auch Putin, der im Jahr 2000 das Präsidentenamt von Boris Jelzin übernahm, habe sich erst im Verlauf von drei Jahren an der Macht von der Clique seines Mentors emanzipieren können.

(RP)
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