Harsche Kritik am britischen Premier Johnson widersetzt sich Rücktrittsforderungen - Vorwürfe seien belanglos

London · Oppositionsmitglieder nennen den britischen Premierminister Johnson einen Heuchler und Lügner. Der frühere Brexit-Minister, einst Mitglied von Johnsons Kabinett, will auch, dass dieser geht.

 Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, spricht im britischen Unterhaus.

Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, spricht im britischen Unterhaus.

Foto: dpa/Jessica Taylor

Der britische Premierminister Boris Johnson hat sich Rücktrittsforderungen widersetzt. Bei einem Auftritt im Unterhaus am Mittwoch verteidigte er die Bilanz seiner Regierung beim Thema Wirtschaft und im Kampf gegen Verbrechen und die Coronavirus-Pandemie. Fragen zum sogenannten Partygate-Skandal zu Veranstaltungen von Regierungsmitarbeitern, bei denen mutmaßlich gegen Lockdown-Regeln verstoßen wurde, versuchte er als belanglos darzustellen.

Die Vorwürfe halfen der Labour-Partei dabei, einen zweistelligen Vorsprung in Meinungsumfragen auf die Konservativen zu gewinnen. Die nächsten Wahlen sind jedoch erst im Jahr 2024 geplant. Die größere Gefahr ging somit von Johnsons eigener Partei aus, die sich in der Vergangenheit öfter zur Hypothek gewordener Anführer entledigte.

Der frühere Brexit-Minister David Davis, einst Mitglied von Johnsons Kabinett, forderte ihn auf: „Um Gottes Willen, gehen Sie!“ Ein ehemaliges Mitglied der Konservativen Partei, Christian Wakeford, ist zur oppositionellen Labour-Partei gewechselt. Der Abgeordnete warf Johnson vor, dieser könne keine angemessene Regierung führen. Oppositionsmitglieder sagten über Johnson, er werde von Landsleuten als Heuchler und Lügner betrachtet.

Johnson erklärte, die Konservativen würden Wakefords Sitz bei der nächsten Wahl zurückerobern. Johnsons Presseabteilung teilte mit, der Premier habe vor, die Partei in diese Wahl zu führen.

Abgeordnete der Konservativen überlegen, ob sie ein Misstrauensvotum gegen Johnson als Parteivorsitzenden einleiten. Dazu müssten 54 Abgeordnete der Partei das Votum schriftlich fordern. Vermutlich haben mehrere Dutzend die Forderung eingereicht. Der Abgeordnete Andrew Bridgen teilte mit, er glaube, dass es „diese Woche“ 54 Schreiben geben werde. Dann könnte es innerhalb von Tagen zu dem Misstrauensvotum kommen. Sollte Johnson dabei verlieren, würde es zu einer Wahl um den Vorsitz der Partei kommen. Wer die gewinnt, würde auch den Regierungschefposten erhalten. Sollte Johnson ein solches Votum gewinnen, wäre er für ein Jahr vor einer ähnlichen Herausforderung sicher.

Die Beamte Sue Gray untersucht die Vorwürfe, Regierungsmitarbeiter hätten Feiern und feuchtfröhliche Treffen abgehalten, während das Land in den Jahren 2020 und 2021 unter strengen Corona-Beschränkungen stand.

Johnson hatte sich vergangene Woche dafür entschuldigt, an einer Gartenparty mit Drinks vor seinem Büro in der Downing Street in London im Mai 2020 teilgenommen zu haben. Damals durften Briten wegen des Coronavirus nicht mehr als eine Person von außerhalb ihres Haushalts treffen. Johnson sagte, gegen Regeln habe er persönlich nicht verstoßen. Er habe das Treffen für eine Arbeitsveranstaltung gehalten. Niemand habe ihm gesagt: „Dies ist eine Veranstaltung, die gegen die Regeln verstößt.“

Grays Bericht werde in der kommenden Woche veröffentlicht, sagte Johnson vor Abgeordneten am Dienstag. Seine Partei rief er dazu auf, sich bis dahin mit einer Beurteilung zurückzuhalten. Es sei an dem Bericht, eine Erklärung zu liefern für das, was passiert sei, sagte der Premier, der sich am Mittwoch privat mit konservativen Abgeordneten traf, um die bröckelnde Unterstützung für seine Person zu stärken.

Einige konservative Abgeordnete riefen ihre Parteikollegen daraufhin zur Einheit auf. Der Johnson-Verbündete Jake Berry von den Konservativen appellierte an seine Kollegen, sich hinter Johnson zu stellen. Der Abgeordnete Jonathan Gullis rief Parteikollegen, die Schreiben für ein Misstrauensvotum gegen Johnson eingereicht haben, dazu auf, diese zurückzuziehen.

(chal/dpa)
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