Eine Erfolgsgeschichte gibt den Menschen Hoffnung Frankreichs Held aus der Vorstadt

Bondy · Für viele Franzosen verkörpert der Ausnahmefußballer Kylian Mbappé aus der Pariser Banlieue den Traum vom sozialen Aufstieg.

 „1998 (damals gewann Frankreich die WM im eigenen Land) war ein großes Jahr für den französischen Fußball. Kylian wurde geboren.“ Ein riesiges Plakat im Pariser Vorort Bondy zeigt den berühmtesten Sohn der Stadt.

„1998 (damals gewann Frankreich die WM im eigenen Land) war ein großes Jahr für den französischen Fußball. Kylian wurde geboren.“ Ein riesiges Plakat im Pariser Vorort Bondy zeigt den berühmtesten Sohn der Stadt.

Foto: imago

„Unsere Stadt, unsere Sterne“, steht auf dem riesigen blauen Transparent, das sich quer über den Eingang des Rathauses von Bondy spannt. Mit den Sternen sind all die Einwohner der Vorstadt nordöstlich von Paris gemeint, die es zu einiger Berühmtheit gebracht haben. Wer die Namen liest, braucht lange, bevor er rechts oben den Mann entdeckt, der Bondy wirklich in aller Welt bekannt gemacht hat: Kylian Mbappé.

Der 20-Jährige stammt aus der Banlieue, ging dort zur Schule und spielte schon mit fünf Jahren im Stadion Léo Lagrange. „Er hat etwas Besonderes. Er ist eine Art Funken, der sich entzündet hat“, schwärmt Bürgermeisterin Sylvine Thomassin, die im ersten Stock des Rathauses in einem großen Büro mit Ledersofa empfängt. Die Sozialistin kennt den prominentesten ihrer 54.000 Einwohner gut, denn ihre Tochter besuchte dieselbe Musikschule wie der spätere Nationalspieler. „Seine Eltern wollten, dass er auch noch etwas anderes macht, als Fußball zu spielen. Also lernte er Querflöte.“

Wer in Bondy über Mbappé spricht, landet schnell bei seinen Eltern. Vor allem Wilfrid, der Vater aus Kamerun, ist eine stadtbekannte Persönlichkeit. Er trainierte bis zum Sommer 2017 fast 25 Jahre lang die Jugendlichen im Fußballverein AS Bondy. „Wilfrid war sehr streng und sehr anspruchsvoll. Das galt auch für Kylian“, sagt Nanette, die vor dem Stadion auf ihren neunjährigen Sohn wartet. Die junge Frau aus dem Kongo bewundert den Vater noch mehr als den Sohn. „Ich würde mir für meinen Sohn auch einen solchen Trainer wünschen.“ Wer schlechte Noten hatte oder zu Hause über die Stränge schlug, den schloss Wilfrid am nächsten Wochenende vom Spiel aus. „Er wollte, dass die Jugendlichen nicht nur auf dem Fußballplatz Erfolg haben, sondern auch im Leben“, bemerkt Sylvine Thomassin.

Auch Wilfrids Frau Fayza, die jahrelang Handball in der ersten Liga spielte, achtete darauf, dass ihre drei Söhne sich nicht einseitig entwickeln. „Sie holte Kylian jeden Nachmittag von der Schule ab und fragte, ob er sich angestrengt habe“, berichtet Thomassin, deren Mann der Grundschuldirektor des Fußballstars war. „Kyky“, der mit seinen Eltern lange in einem einfachen Mehrfamilienhaus in der Allée des Lilas direkt hinter dem Stadion wohnte, war hochbegabt und lernte schnell, interessierte sich aber nicht sehr für den Unterricht. Die Grundschule und einen Teil der Mittelstufe absolvierte er in Bondy, bevor er mit zwölf Jahren auf das Fußballinternat in Clairefontaine bei Paris wechselte.

Eine Entscheidung, die seine Eltern für ihn trafen. Wilfrid, der seinen Sohn inzwischen managt, ist es auch zu verdanken, dass Kylian sich mit 14 gegen einen Wechsel ins Ausland entschied und stattdessen zur AS Monaco ging. „Der Verein stellte mir Lehrer zur Verfügung, damit ich weiter lernen und mein Abitur machen konnte“, sagte Mbappé der Zeitung „Equipe“. Während die meisten anderen Fußballer die Schule abbrechen, um Profis zu werden, hat Kylian also sein Schulabschluss in der Tasche.

Die AS Monaco war für ihn auch das Sprungbrett zu Paris Saint-Germain (PSG), dem französischen Spitzenclub, bei dem er seit dem Sommer 2017 spielt. Erneut lehnte er die Offerten der ausländischen Vereine ab, um in Frankreich zu bleiben. Neben PSG-Stars wie dem schrillen Neymar mit seinen Tätowierungen und ständig wechselnden Frisuren wirkt Mbappé immer noch wie der nette Junge von nebenan. Auch Skandale sucht man bei dem Wunderkind vergebens. Wenn der Stürmer mit dem breiten Lächeln außerhalb des Fußballplatzes Schlagzeilen macht, dann ist es für einen guten Zweck. So spendete er 30.000 Euro für die Suche nach seinem bei einem Flugzeugabsturz vermissten Kollegen Emiliano Sala und überließ seine gesamte WM-Prämie von rund 350.000 Euro einem von ihm gegründeten Verein, der sich um kranke und behinderte Kinder kümmert. „Ich verdiene sehr viel. Deshalb denke ich, dass es wichtig ist, denjenigen zu helfen, die es brauchen“, sagte er in einem Interview. „Mein Leben verändert das nicht, aber ihres schon.“

Schon längst reicht die Aura des Kylian Mbappé weit über den Rasen hinaus. Im jährlichen Ranking der beliebtesten Franzosen belegte der 20-Jährige im Dezember Platz vier hinter Stars wie dem Musiker Jean-Jacques Goldman und dem Schauspieler Omar Sy. Das US-Magazin „Time“ hob ihn auf den Titel und erklärte ihn zu einem der „Anführer der nächsten Generation“. „Mbappé verkörpert mehr als einen außergewöhnlichen Fußballspieler. Er lebt ein soziales Märchen, das ihn aus der Misere in den Reichtum bringt“, schrieb die Zeitschrift euphorisch.

Als der damals 19-Jährige die „Bleus“ 2018 zum Titel schoss, war er der jüngste Weltmeister nach dem legendären Pelé. In einem Alter, in dem andere wilde Partys feiern, stand er bereits auf dem Höhepunkt seiner Karriere und blieb dabei doch freundlich-bodenständig. Das beeindruckte die Franzosen so sehr, dass sie ihren Nationalslogan für ihn änderten. „Liberté, Egalité, Mbappé“ stand auf den T-Shirts, mit denen die Fans auf den Pariser Champs-Elysées den Titel feierten.

Ein paar Kilometer weiter nordöstlich in Bondy jubelten zum selben Zeitpunkt auch die Einwohner der Banlieue. „Champion du monde“ (Weltmeister) skandierten Hunderte Zuschauer vor der Großleinwand im Stadion Léo Lagrange, lange bevor der Schlusspfiff ertönte. Während es anderswo zu Gewaltexzessen kam, feierte Bondy an jenem Abend ein friedliches Freudenfest. Zumindest für ein paar Stunden war die Vorstadt ebenso ausgeglichen wie ihr neuer Held.

Der wirkt trotz seines außergewöhnlichen Erfolgs immer noch erstaunlich entspannt. Äußerlich ganz cool meisterte er auch den Auftritt am 17. Oktober in seiner Heimatstadt, wo er auf der Bühne seines alten Stadions den Weltmeistertitel feierte. „Es ist ein Privileg, zu euch zurückzukommen. In mein Zuhause, hierher nach Bondy“, sagte er, die schwarze Baseballmütze mit seinen Initialen auf dem Kopf. Immer wieder legte er die Hand aufs Herz, als wolle er zeigen, dass er auch als zweitteuerster Spieler der Welt (180 Millionen Euro Ablöse) seine Herkunft nicht vergessen hat. „Ich hoffe, dass ihr immer an eure Träume glaubt. Und dass ihr eines Tages an meiner Stelle hier steht und euch zugejubelt wird“, gab er seinem jungen Publikum mit auf den Weg.

„Er ist ein Modell für die Jugendlichen“, sagt Latifa Oulkhouir, die Direktorin der Internetplattform „Bondy Blog“, die sich als Stimme der in Frankreich verschrienen Problemvorstädte versteht. „Aber er ist nicht der Einzige. Es gab auch vorher schon Spieler, die es aus der Banlieue nach ganz oben schafften.“ Zinédine Zidane, der Mann aus dem Problemviertel La Castellane von Marseille, ist so ein Fall. Und „Zizou“, die französische Fußball­ikone, könnte auch für Mbappé ein Vorbild sein. Denn er holte nicht nur 1998 den ersten Weltmeistertitel für Frankreich, sondern schaffte nach seiner Spielerkarriere eine ebenso erfolgreiche Trainerlaufbahn.

„Ich bin überzeugt, dass Kylian, auch wenn er eines Tages nicht mehr Fußball spielt, immer noch ein aufrichtiger und integrer Mensch sein wird“, sagt Bürgermeisterin Sylvine Thomassin. In der harten Welt des Profifußballs keine leichte Aufgabe. Doch Mbappé, dem bisher alles gelang, könnte auch das schaffen.

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