Krisentreffen in Lwiw Erdogan glaubt weiter an diplomatische Lösung des Ukraine-Krieges

Lwiw/Kiew/Istanbul/New York · „Die Menschen brauchen Frieden“, mahnt UN-Generalsekretär Guterres nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten und dessen Amtskollegen aus der Türkei in der Ukraine. Doch knapp sechs Monate nach Beginn des Kriegs stehen die Bemühungen noch ganz am Anfang.

Ukraine:  Dreiergipfel von Selenskyj, Guterres und Erdogan
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Erste Bilder des Dreiergipfels von Selenskyj, Guterres und Erdogan

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Foto: AFP/HANDOUT

Knapp ein halbes Jahr nach dem Überfall Russlands auf das Nachbarland Ukraine verstärken sich die internationalen diplomatischen Bemühungen um ein Ende des Krieges. Der Verhandlungserfolg durch das Getreide-Abkommen im Juli sei „nur der Anfang“ einer positiven Dynamik, sagte UN-Generalsekretär António Guterres am Donnerstag nach einem Treffen mit den Präsidenten der Ukraine und der Türkei, Wolodymyr Selenskyj und Recep Tayyip Erdogan, im ukrainischen Lwiw. Erdogan bekräftigte seine Hoffnung auf eine diplomatische Lösung. „Ich glaube weiter daran, dass der Krieg irgendwann am Verhandlungstisch enden wird.“ Das sähen auch Selenskyj und Guterres so, sagte Erdogan laut dem türkischen Präsidialpalast.

Der Krieg habe unzählige Tote, massive Zerstörungen und Vertreibungen sowie dramatische Menschenrechtsverletzungen gebracht, sagte Guterres nach Angaben der Vereinten Nationen. „Die Menschen brauchen Frieden“, mahnte er.

Das Treffen in Lwiw im Westen des Landes war für die Vereinten Nationen und die Türkei eine Möglichkeit, den Einstieg in eine Verhandlungslösung mit der Ukraine auszuloten. Selenskyj stellte aber nach ukrainischen Medienberichten klar, Gespräche seien erst möglich nach einem Abzug der russischen Truppen aus den widerrechtlich besetzten Gebieten. Außenminister Dmytro Kuleba sagte, niemand habe die Ukraine in Lwiw zu Zugeständnissen an Russland gedrängt. Die russische Seite war bei dem Gipfeltreffen nicht vertreten.

Sorge um AKW Saporischschja

In den Gesprächen wurde auch die Lage in dem von russischen Truppen besetzten AKW Saporischschja erörtert. Seit Wochen kommt es dort zu Beschuss - Russland und die Ukraine schieben sich dafür gegenseitig die Verantwortung zu. Guterres forderte nach dem Dreier-Gipfel erneut den Rückzug aller Truppen rund um das größte Kernkraftwerk Europas. „Das Gebiet muss entmilitarisiert werden.“ Jede mögliche Beschädigung des AKW sei „Selbstmord“. Auch Erdogan warnte vor einer Nuklearkatastrophe: „Wir wollen kein neues Tschernobyl erleben.“

Russland hatte schon vor Guterres' Rede Forderungen nach einer Entmilitarisierung als „inakzeptabel“ bezeichnet. Die Anlage würde dadurch noch anfälliger für Angriffe, sagte ein Sprecher des russischen Außenministeriums am Donnerstag in Moskau. Der ukrainischen Führung warfen die russischen Besatzer vor, für Freitag einen Anschlag auf das AKW zu planen. Kiew warnte seinerseits vor einem möglichen russischen Sabotageakt.

Aufklärungsmission zu bombardiertem Gefängnis

Eine internationale Mission soll einen Angriff auf das Gefangenenlager Oleniwka bei Donezk aufklären, wie Guterres ankündigte. Bei dem Angriff Ende Juli wurden etwa 50 ukrainische Kriegsgefangene getötet. Kiew machte Russland für den Massenmord verantwortlich, auch Recherchen ausländischer Experten und Medien kamen zu diesem Schluss. Moskau warf dagegen ukrainischen Truppen vor, das Gefangenenlager beschossen zu haben.

Russland verlegt angeblich Kinschal-Raketen nach Kaliningrad

Als „zusätzliche Maßnahme zur strategischen Abschreckung“ hat Russland nach eigenen Angaben Kampfflugzeuge mit den neuen Hyperschallraketen Kinschal (Dolch) in seine Ostsee-Exklave Kaliningrad verlegt. Das teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Donnerstag der Agentur Interfax zufolge mit. Die Marschflugkörper Kinschal fliegen nach russischen Angaben bis zu zehn Mal schneller als der Schall, sind dabei trotzdem lenkbar und haben eine Reichweite von 2000 Kilometern. Sie können konventionell oder nuklar bestückt werden. Es ist eins von mehreren hochmodernen Waffensystemen, auf das Präsident Wladimir Putin besonders stolz ist.

Mindestens 13 Tote nach russischen Raketenangriffen

Im Osten der Ukraine kamen bei massiven russischen Raketenangriffen auf die Stadt Charkiw nach offiziellen Angaben in der Nacht zum Donnerstag mindestens elf Menschen ums Leben. Dabei handele es sich ausschließlich um Zivilisten, teilte der ukrainische Militärgouverneur Oleh Synjehubow per Telegram mit. Weitere 35 Menschen seien verletzt worden. Angriffe gab es demnach auch in der rund 80 Kilometer südwestlich gelegenen Stadt Krasnohrad. Dort wurden nach Angaben der Behörden zwei Menschen getötet und zwei weitere verletzt. Die Informationen ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Die Vereinten Nationen haben mehr als 5500 zivile Todesopfer in dem Krieg registriert, gehen aber von weitaus höheren Opferzahlen aus.

43 Getreideschiffe seit Ende der Hafenblockade in See gestochen

Seit der Einigung auf den Korridor für ukrainisches Getreide über das Schwarze Meer sind nach türkischen Angaben bereits 43 Schiffe in See gestochen. 25 davon hätten die Ukraine verlassen, 18 hätten sich auf den Weg zu ukrainischen Häfen gemacht, teilte das türkische Verteidigungsministerium am Donnerstag mit. Mehr als 622 000 Tonnen Getreide aus ukrainischen Häfen seien verschifft worden.

Die Kriegsgegner Russland und Ukraine hatten unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei Ende Juli jeweils getrennt mit Ankara Abkommen unterzeichnet, damit die Ukraine trotz des russischen Angriffskrieges wieder Getreide über ihre Schwarzmeerhäfen ausführen kann. Es wird geschätzt, dass mehr als 20 Millionen Tonnen Getreideerzeugnisse in der Ukraine lagern.

Estland beschränkt Einreise für russische Staatsbürger

Mehr Druck auf Russland versucht unterdessen Estland aufzubauen. Russische Staatsbürger dürfen seit Donnerstag nicht mehr mit einem von Estland ausgestellten Schengen-Visum in das baltische EU- und Nato-Land einreisen. Weiter ist das jedoch russischen Bürgern mit Visa möglich, die von anderen EU-Mitgliedstaaten ausgestellt wurden und die für den gesamten Schengen-Raum gelten. Mit seinen ebenfalls an Russland grenzenden Nachbarländern Finnland und Lettland macht sich Estland für einen grundsätzlichen Stopp von Touristenvisa stark. Deutschland und die EU-Kommission in Brüssel lehnen dies ab.

(mzu/dpa)
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