Kriegsverbrechen in der Ukraine Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Putin
Update | Den Haag/Amsterdam · Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehl gegen Russlands Präsident Wladimir Putin erlassen. Er warf ihm am Freitag vor, verantwortlich für Kriegsverbrechen in der Ukraine zu sein. Doch Moskau nennt den Haftbefehl „nichtig“.
Wegen seiner Verantwortung für Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen. Gegen Putin sowie die Kinderrechtsbeauftragte des Präsidenten, Maria Alexejewna Lwowa-Belowa, sei Haftbefehl ergangen, erklärte das Gericht mit Sitz in Den Haag am Freitag. Hintergrund ist die Verschleppung von ukrainischen Kindern nach Russland.
Das Gericht sei aufgrund der Anträge der Ankläger vom 22. Februar zu der Auffassung gelangt, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gebe, dass Putin und Lwowa-Belowa für die genannten Kriegsverbrechen verantwortlich sind, sei es indem sie die Taten direkt oder gemeinsam mit anderen verübt oder durch fehlende Kontrolle von Untergebenen mitverursacht hätten. Die Haftbefehle würden anders als sonst üblich veröffentlicht, weil die Verbrechen mutmaßlich noch andauerten und eine öffentliche Bekanntgabe dazu beitragen könne, die weitere Begehung von Straftaten zu verhindern, erklärte das Gericht. Gerichtspräsident Piotr Hofmanski teilte mit, vollstrecken müsse die Haftbefehle aber die internationale Gemeinschaft. Das Gericht können sie nur erlassen. Dass das Weltstrafgericht Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef erlässt, ist sehr selten. Unter anderem geschah das im Fall des inzwischen gestürzten sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir.
Russland erkennt Gericht nicht an

Ein Jahr Krieg in der Ukraine
Es ist aber unwahrscheinlich, dass Putin tatsächlich auch vor dem Gericht in Den Haag erscheinen wird. Russland erkennt das Gericht nicht an. Am Abend bezeichnete der Kreml den Haftbefehl denn auch als „nichtig“ und „bedeutungslos“. „Russland erkennt genau wie eine Reihe anderer Länder die Zuständigkeit dieses Gerichts nicht an, deshalb sind die Entscheidungen dieses Gerichts aus rechtlicher Sicht nichtig“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Das ist Wladimir Putin - eitel, autoritär, entschlossen
Außenamtssprecherin Maria Sacharowa teilte im Online-Dienst Telegram mit: „Die Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs sind für unser Land bedeutungslos, auch aus rechtlicher Sicht.“ Moskau werde „nicht mit dem Gericht kooperieren“. Russland sei „kein Vertragspartner“ des IStGH und habe ihm gegenüber „keine Verpflichtungen“.
Obgleich die Ukraine das Römische Statut des Internationalen Gerichtshofs nicht ratifiziert hat, erkennt Kiew die Befugnis der Richter für seit 2014 auf ukrainischem Staatsgebiet verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen die Ukraine an. 2015 übergab der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin in Den Haag eine entsprechende Erklärung. Kurz nach Ausbruch des Krieges, hatte Chefankläger Khan bereits Ermittlungen in der Ukraine aufgenommen.
Bereits am Donnerstag hatten UN-Ermittler berichtet, dass russische Truppen im Ukraine-Krieg nach Darstellung einer Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats zahlreiche Kriegsverbrechen begangen haben. Dazu zählten vorsätzliche Tötungen, Angriffe auf Zivilisten, rechtswidrige Gefangenschaft, Vergewaltigung und erzwungene Abschiebungen von Kindern, hieß es in dem am Donnerstag in Genf vorgelegten Bericht. Darüber hinaus könnten die Angriffswellen der russischen Streitkräfte auf die Energieinfrastruktur der Ukraine und der Einsatz von Folter Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.
Auch die ukrainischen Streitkräfte seien in einigen Fällen zu kritisieren. Willkürliche Angriffe und zwei Fälle von Folterung russischer Kriegsgefangener seien Kriegsverbrechen, so die Kommission.
„Viele der vorsätzlichen Tötungen, rechtswidrigen Einsperrungen, Vergewaltigungen und sexuellen Gewalttaten wurden im Rahmen von Hausdurchsuchungen begangen, die darauf abzielten, Anhänger der ukrainischen Streitkräfte ausfindig zu machen oder Waffen zu finden“, stellte der Bericht fest. Die willkürlich verhafteten Menschen seien von den russischen Streitkräften oft in überfüllten Zellen unter schlimmsten Umständen gefangen gehalten worden.
„In einem Fall starben zehn ältere Menschen an den Folgen der unmenschlichen Bedingungen in einem Schulkeller, während die anderen Inhaftierten, darunter auch Kinder, denselben Raum mit den Leichen der Verstorbenen teilen mussten“, hieß es weiter. Bei Vergewaltigungen seien Familienmitglieder, darunter auch Kinder, gezwungen worden, dem Verbrechen zuzusehen.
Die Kommission dringt auf die Verfolgung der Straftäter. Eine Liste der mutmaßlichen Verantwortlichen sei erstellt und beschränke sich nicht nur auf das Militär, sagte der norwegische Vorsitzende der Kommission, Erik Møse. Das Mandat der Kommission umfasse vielmehr alle Ebenen. „Wir haben Fortschritte bei der Identifizierung von Personen und zum Beispiel Einheiten gemacht“, sagte Kommissionsmitglied Pablo de Greiff. Diese Liste werde dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte übergeben und sei nicht Teil des Berichts, hieß es.
Auch die Bundesregierung dringt auf juristische Konsequenzen für Täter. „Ganz besonders abscheulich ist die dokumentierte systematische Entführung von ukrainischen Kindern“, sagte die deutsche Botschafterin in Genf, Katharina Stasch. „Wir werden diese Verbrechen lückenlos aufklären und die Täter zur Rechenschaft ziehen. Daher wollen wir die Untersuchung der Kindesentführungen auch explizit in das neue Mandat der Untersuchungskommission aufnehmen.“
Für die Ermittlungen reiste die Kommission nach eigenen Angaben acht Mal in die Ukraine und besuchte 56 Städte und Siedlungen. Außerdem seien Gräber, Haft- und Folterstätten inspiziert sowie Fotos und Satellitenbilder ausgewertet worden. Insgesamt seien 600 Betroffene befragt worden. Laut UN-Zahlen wurden seit Beginn des Krieges mehr als 8000 Zivilisten getötet und mehr als 13.000 verletzt. Diese Zahlen spiegelten aber wohl nur einen Teil der wirklichen Situation wider, hieß es.
Von der Leyen: Putin verliert Energiekrieg
Putin ist zudem nach Überzeugung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen damit gescheitert, Europa durch eine reduzierte Versorgung mit Energie zu erpressen. „Putin hat die von ihm entfachte Energieschlacht eindeutig verloren, und seine Erpressung hat nicht funktioniert“, sagte die Politikerin am Freitag der Deutschen Presse-Agentur und anderen Medien bei einem Besuch der Gasförderplattform Troll A vor der norwegischen Westküste.
Sie betonte, dass die EU nun viel stärker von Verbündeten wie Norwegen und den USA mit Energie versorgt werde. Zudem habe Europa massiv in erneuerbare Energien investiert und den Energieverbrauch um 20 Prozent reduziert. „Wenn Präsident Putin also geplant hat, uns in die Knie zu zwingen, hat er genau das Gegenteil erreicht. Wir sind heute stärker und unabhängiger, als wir es je waren.“