Migration „Ein Flüchtling ist ein Flüchtling, ob europäisch, afrikanisch oder asiatisch“

Barcelona · Sogar Staaten mit den härtesten Positionen in Sachen Migration in Europa begrüßen Flüchtlinge aus der Ukraine mit offenen Armen. Eine neue Chance im Umgang mit Flüchtlingen aus anderen Ländern?

 Zwei Männer mit einem Kind gehen im ukrainischen Shehyni in Richtung der polnischen Grenze.

Zwei Männer mit einem Kind gehen im ukrainischen Shehyni in Richtung der polnischen Grenze.

Foto: dpa/Pavlo Palamarchuk

 Sie reisen zu Hunderttausenden in Nachbarländer - Flüchtlinge aus der Ukraine, mit ihren Kindern in einem Arm und ein paar Habseligkeiten im anderen. Und Spitzenpolitiker in Staaten wie Polen, Ungarn, Bulgarien, Moldau und Rumänien heißen sie herzlich willkommen. Diese Gastfreundschaft wirft zugleich ein Schlaglicht auf die deutlichen Unterschiede bei der Behandlung von Migranten und Flüchtlingen aus dem Nahen Osten, Afrika und Syrien. Und für sie ist die Rhetorik mancher dieser europäischen Staatslenker zutiefst verletzend.

„Dies hier sind nicht die Flüchtlinge, die wir gewohnt sind... Diese Leute sind Europäer“, sagte zum Beispiel Bulgariens Ministerpräsident Kiril Petkow kürzlich vor Journalisten über die Ukrainer. Danach führte er Vermutungen über die Eigenschaften der Ukrainer an, die bei deren Ankunft ebensowenig bekannt sind, wie sie es bei anderen Neuankömmlingen waren. „Diese Menschen sind intelligent, sie sind gebildete Leute“, behauptete Petkow. „Dies ist nicht die Flüchtlingswelle, die wir gewohnt waren, Leute, über deren Identität wir nicht sicher waren, Leute mit unklarer Vergangenheit, die sogar Terroristen hätten sein können...“.

Der syrische Journalist Okba Mohammad nennt diese Äußerungen „eine Mischung von Rassismus und Islamfeindlichkeit“. Mohammad floh 2018 aus seiner Heimatstadt Daraa und lebt jetzt in Spanien, wo er zusammen mit anderen Flüchtlingen das erste zweisprachige Magazin in Arabisch und Spanisch startete. Wie er schildert, hatte er ein Gefühl von Déjà-vu, als er die Ereignisse in der Ukraine verfolgte. Wie Tausende Menschen dort musste auch er in einem Bunker Schutz vor russischen Bomben suchen, auch er hatte es schwer, einen Platz in einem überfüllten Bus zu finden, um aus seiner Stadt zu fliehen. Und auch er wurde an der Grenze von seiner Familie getrennt. „Ein Flüchtling ist ein Flüchtling, ob europäisch, afrikanisch oder asiatisch“, sagt Mohammad.

Dennoch ist ein markanter Wandel im Ton einiger Politiker zu beobachten, die sich bislang mit den extremsten Anti-Migration-Positionen in Europa hervortaten. „Wir werden niemanden reinlassen“, hatte beispielsweise der ungarische Regierungschef Viktor Orban vor drei Monaten mit Blick auf Migranten und Flüchtlinge gesagt, die über Ungarn nach Europa wollten. „Wir lassen jeden rein“, erklärte er jetzt mit Bezug auf Menschen aus der Ukraine.

Auch einige Journalisten haben für ihre Beschreibung ukrainischer Flüchtlinge im Vergleich zu anderen Kritik geerntet. So sagte etwa ein englischer Moderator des Senders Al-Dschasira. „Sie sind offensichtlich keine Flüchtlinge, die versuchen, aus Gebieten im Nahen Osten wegzukommen...in Nordafrika. Sie sehen wie jede europäische Familie aus, die nebenan wohnt.“ Al-Dschasira entschuldigte sich später für die „gefühllosen“ und „unverantwortlichen“ Bemerkungen.

Auch der US-Sender CBS äußerte Bedauern über den Kommentar einer seiner Korrespondenten, dem zufolge die Vorgänge in Kiew nicht „wie Irak oder Afghanistan“ seien, Länder, „in denen Konflikte über Jahrzehnte hinweg gewütet haben“. Kiew sei „eine relativ zivilisierte, relativ europäische“ Stadt. Solche Bemerkungen werfen unbequeme Fragen auf. Offen ist dabei aber auch, ob eine Identifikation mit den ukrainischen Flüchtlingen zu mehr Mitgefühl anderen Flüchtlingen gegenüber führen könnte.

Als 2015 über eine Million Menschen nach Europa kamen, war die Unterstützung für jene, die vor den Kriegen in Syrien, Afghanistan und im Irak flüchteten, viel stärker als heute. Es gab zwar auch feindselige Augenblicke, etwa als eine ungarische Kamerafrau dabei gefilmt wurde, wie sie Migranten an der Grenze zu Serbien Fußtritte versetzte. Aber es war eine Zeit, in der die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel „Wir schaffen das“ sagte und Schwedens Ministerpräsident die Bürger aufrief, ihre Herzen für die Flüchtlinge zu öffnen.

Freiwillige versammelten sich an griechischen Stränden, um erschöpfte Bootsflüchtlinge zu bergen, und in Deutschland wurden Ankömmlinge in Bahnhöfen und Busstationen mit Beifall begrüßt. Aber der herzliche Empfang endete wenig später im Zuge von Differenzen innerhalb der EU darüber, wie die Verantwortung für die Flüchtlinge verteilt werden sollte. Die größten Querulanten waren mittel- und osteuropäische Länder wie Ungarn und Polen. Eine Regierung nach der anderen in Europa verschärfte dann ihre Einwanderungs- und Asylpolitik sowie die Grenzkontrollen.

Im vergangenen Jahr strandeten Hunderte Menschen überwiegend aus dem Irak und Syrien, aber auch aus Afrika, über lange Tage hinweg in einem Niemandsland zwischen Polen und Belarus, mehr als 15 von ihnen starben in der Kälte. Und just in der vergangenen Woche verurteilte das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge die wachsende Gewalt und ernste Menschenrechtsverletzungen an europäischen Grenzen und bezog sich dabei insbesondere auf Griechenland.

Nun ruft das UN-Flüchtlingshochkommissariat dazu auf, nicht nur die Ukrainer mit offenen Armen zu empfangen, „sondern alle, die vor Konflikt und Unsicherheit fliehen - unabhängig von ihrer Nationalität und Hautfarbe“.

(peng/dpa)
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