Sorge nach Putin-Äußerung Werden auch Atomwaffen in der Ukraine eingesetzt?

Sollten sich andere Nationen in der Ukraine einmischen, droht der russische Präsident mit einer Reaktion seines Landes, „die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben“. Er meint damit die Atomwaffen seiner Armee. Aber wird er sie auch wirklich einsetzen?

 Wladimir Putin droht dem Westen mit einem noch nie dagewesenen Szenario.

Wladimir Putin droht dem Westen mit einem noch nie dagewesenen Szenario.

Foto: dpa/Alexei Nikolsky

Nach den jüngsten Äußerungen von Kreml-Chef Wladimir Putin ist sie da: die Angst, dass es zu einer Konfrontation der Supermächte kommen könnte –  zum Dritten Weltkrieg, auch mit Atomwaffen. Es sind die Gespenster des Kalten Kriegs, die nun in veränderter Gestalt wieder auferstanden sind. „Dies ist der gefährlichste Moment der Geschichte seit der kubanischen Raketenkrise von 1962“, sagt der Historiker Heinrich August Winkler, Autor einer epochalen „Geschichte des Westens“.

Eiskalt und mit einem wie in Wachs gegossenen völlig reglosen Gesicht hatte der russische Kriegsherr Wladimir Putin in einer Rede an seine Landsleute verkündet: „Wer auch immer versucht, uns zu behindern, geschweige denn eine Bedrohung für unser Land und unser Volk zu schaffen, muss wissen, dass die Antwort Russlands sofort erfolgen und zu Konsequenzen führen wird, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben.“

Ob das eine Drohung sei, Atomwaffen einzusetzen, wurde Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstagabend im ZDF von Markus Lanz gefragt. Die Antwort: „Ja, so muss man das verstehen.“ Muss man es auch ernst nehmen? „Natürlich will man nicht glauben, dass er es ernst meint mit einer Drohung, Atomwaffen einzusetzen als Erstschlag“, erwiderte Habeck. „Aber man konnte eben auch lange nicht glauben, dass er die Ukraine komplett in einer Zangenbewegung, wie wir sie wirklich seit 75 Jahren auf diesem Kontinent nicht mehr gesehen haben, angreift. Und wir sind eines Besseren belehrt worden und müssen einräumen, dass wir naiv waren. Deswegen sind alle extrem besorgt.“ Eines stehe fest: „Wir können nicht in einen Krieg mit Russland ziehen. Wir können keinen Dritten Weltkrieg riskieren.“

Trotz der Verweise von Kremlchef Wladimir Putin auf sein Atomarsenal rechnet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri nicht damit, dass der Ukraine-Krieg zum Einsatz von nuklearen Waffen führen wird. „Ich glaube nicht, dass ein Atomkrieg eine wahrscheinliche Folge dieser Krise ist“, sagte Sipri-Direktor Dan Smith der Deutschen Presse-Agentur in Skandinavien. „Wenn Atomwaffen existieren, dann gibt es aber leider natürlich immer diese kleine Möglichkeit. Und das wäre katastrophal.“

Der russische Präsident Putin hatte in einer Fernsehansprache am Donnerstagmorgen einen Auslandseinsatz seines Militärs in den ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk offiziell angeordnet. In der Rede hatte er unter anderem darauf verwiesen, Russland sei heute eine „der mächtigsten Nuklearmächte der Welt“.

Nach dem jüngsten Sipri-Jahresbericht aus dem vergangenen Juni verfügte Russland Anfang 2021 über 6255 der 13.080 Atomwaffen, die die neun Atommächte der Erde schätzungsweise in ihrem Besitz haben. Die USA kamen zu dem Zeitpunkt auf 5550 solcher Sprengkörper.

Smith wies auf das oft genannte Argument hin, Atomwaffen trügen zur internationalen Stabilität bei. „Leute, die so argumentieren, sollten sich die Instabilität ansehen, die wir im Moment erleben“, sagte er. „Nein, Atomwaffen tragen nicht zur Stabilität bei. Sie tragen zu gegenseitigem Misstrauen, Feindseligkeit und Unsicherheit bei.“

Viele Spitzenpolitikerinnen und -politiker hatten Russlands Einmarsch in die Ukraine als dunklen Moment in der europäischen Geschichte bezeichnet. Geschichtlich betrachtet habe es seit dem Koreakrieg Anfang der 50er Jahre keine gefährlichere Situation gegeben, sagte Smith. Auch in der Kubakrise habe es eine Konfrontation militärischer Kräfte gegeben – jetzt werde aber tatsächlich Krieg geführt. Damals seien die diplomatischen Züge relativ leicht vorhersehbar gewesen – dies sei nun nicht so. „Es ist nicht einfach zu erkennen, wie die diplomatische Lösung dieser Krise aussehen wird.“

Zu Putins Beweggründen für sein Vorgehen in der Ukraine sagte Smith, Russlands Sicherheitskonzept basiere darauf, über gewisse Macht und Einfluss in den Gebieten außerhalb der eigenen Grenzen zu verfügen. Diese umliegenden Staaten sollten für Putin idealerweise gefügig wie Belarus oder ausgehebelt wie in Georgien sein. Die Regierung in Kiew sei dies nicht. Putin wolle nun sicherzustellen, dass die Ukraine trotzdem ein verlässlicher Sicherheitspuffer Richtung Westen sei.

Anstatt über die Möglichkeit der Ukraine als Pufferstaat zwischen Westeuropa und Russland solle man vielmehr darüber nachdenken, ob das Land eines mit gleich guten Beziehungen in beide Richtungen hätte sein können oder sein könnte, sagte Smith. In solch einem Fall wäre die Sicherheit aller erfüllt. Wenn man über Pufferstaaten spreche, müsse man daran denken, was die dort lebenden Menschen wollten. „Das hier ist kein strategisches Schach. Es geht um echte Leben.“

Was jetzt noch helfen kann: Geschlossenheit sei dabei das alles Entscheidende, sagt der 1938 in Königsberg (Kaliningrad) geborene Historiker Winkler: „Wenn das westliche Bündnis fest zusammensteht, hat es eine gute Chance, eine Ausweitung von Putins Krieg auf das übrige Europa zu verhindern. Aber auch nur dann.“

Mut versucht der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel zu machen: „Der Westen hat schon einmal mit langem Atem einen Gegner besiegt“, sagte der frühere SPD-Vorsitzende im ZDF. Das war allerdings wirklich ein sehr langer Atem: Der Kalte Krieg währte 40 Jahre. Dann wäre man im Jahr 2062.

(mso/dpa)
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