Protest gegen Timoschenko-Inhaftierung Komplette EU-Kommission boykottiert Fußball-EM

Kiew · Aus Protest gegen den Umgang mit der inhaftierten ukrainischen Oppositionschefin Julia Timoschenko will die gesamte EU-Kommission der Fußball-Europameisterschaft in dem Land fernbleiben. Alle EU-Kommissare teilten in dieser Hinsicht die Haltung von Kommissionspräsident José Manuel Barroso, teilte die EU-Vertretung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew am Donnerstag mit. Der breite Protest gegen die Haltung Kiews dauerte an.

"EU-Kommissionspräsident Barroso hat nicht die Absicht, in die Ukraine zu reisen oder an den Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Euro-2012 teilzunehmen", hieß es in einer auf der Facebook-Seite der EU-Delegation in Kiew veröffentlichten Erklärung. Diese Haltung werde "von allen EU-Kommissaren geteilt". Barroso selbst hatte bereits zuvor angekündigt, nicht in die Ukraine reisen zu wollen.

Auch Rats-Präsident Van Rompuy sagt ab

Nach EU-Kommissionschef José Manuel Barroso hat auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy einen Boykott der Fußballeuropameisterschaft in der Ukraine angekündigt. "Es gefällt dem Präsidenten nicht, wie sich die Situation in der Ukraine entwickelt", sagte sein Sprecher am Donnerstag auf Nachfrage. "Deswegen wird er nicht dorthin reisen."

FIFA-Präsident Joseph S. Blatter hat die Aufrufe von Politikern zum Boykott der Fußball-EM in der Ukraine scharf kritisiert. "Die Politiker sollten sich jetzt beziehen auf die Werte des Sports. Und bevor sie von Boykott sprechen, sollte man sich überlegen, was das nach sich zieht", sagte der Chef des Fußball-Weltverbandes (FIFA) dem Deutschen Anleger Fernsehen am Donnerstag bei einem Symposium in St. Gallen. Blatter lehnt eine Verlegung ab. "Die EM muss durchgeführt werden, wo sie ist. Der Fußball soll die Leute zusammenbringen und nicht trennen."

Kritik aus Kiew

Die Ukraine verurteilt einen politischen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in ihrem Land. "Das Außenministerium hält die Versuche einer Politisierung von Sportereignissen für destruktiv", teilte das Ministerium am Donnerstag in Kiew mit. Sportveranstaltungen dienten seit Urzeiten der zwischenstaatlichen Verständigung. "Aufrufe zu einem Boykott der Meisterschaft würden den Beziehungen einen Schaden zufügen", heißt es weiter in dem Schreiben.

Die ukrainische Führung unter Präsident Viktor Janukowitsch steht wegen ihres Umgangs mit Timoschenko massiv in der Kritik. Aus Protest gegen den Umgang der Behörden mit der Ex-Regierungschefin forderten schon viele Politiker einen Boykott der Fußball-EM in der Ukraine, die ab dem 8. Juni gemeinsam mit Polen Gastgeberland ist. In Kiew soll unter anderem das Endspiel am 1. Juli ausgetragen werden.

Die an Bandscheibenproblemen leidende Timoschenko verbüßt in der Ukraine eine siebenjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs. Die ehemalige Regierungschefin protestiert seit dem 20. April mit einem Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen. Sie wirft Präsident Janukowitsch vor, die Prozesse gegen sie seien ausschließlich politisch motiviert.

Timoschenkos Tochter Jewgenija sagte der Deutschen Welle am Donnerstag, Familie und Anwälte forderten schon seit zwei Monaten, dass ihre Mutter "von einem Arzt ihres Vertrauens" behandelt werden könne. Dies werde von den Behörden aber nicht zugelassen. Die Ukraine entwickle sich derzeit so, "dass wir bald in einem totalitären Land leben", sagte Timoschenkos Tochter.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Meinhardt forderte, das EM-Endspiel nach Polen zu verlegen. Dazu habe er den Chef des Europäischen Fußballverbands, Michel Platini, in einem Brief aufgefordert. "Dies wäre ein deutliches Zeichen, dass der autoritäre Regierungsstil der gegenwärtigen ukrainischen Führung auf breiten gesellschaftlichen Widerstand in Europa stößt", erklärte Meinhardt.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) drohte erneut mit Konsequenzen. "Mit unseren Partnern in der Europäischen Union sind wir uns einig, dass das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine nicht ratifiziert werden kann, solange sich die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine nicht in die richtige Richtung entwickelt", sagte er der "Rheinischen Post".

Russlands designierter Präsident Wladimir Putin unterbreitete das Angebot, Timoschenko in seinem Land behandeln zu lassen. Russland werde die Politikerin "mit Vergnügen" aufnehmen, sagte er nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen.

(AFP)
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