Elio Di Rupo soll Belgien aus der Krise retten Königstreuer Sozialistenführer mit Fliege

Brüssel · Die Fliege sitzt - auch nach mehr als anderthalb Jahren Krise. Wenn Elio Di Rupo dieser Tage vor die Kameras tritt, um Belgien auf seine neue Regierung vorzubereiten, hat der 60-Jährige weder seinen Stil noch sein Markenzeichen vergessen, den etwas extravaganten Binder am Kragen. Lange musste er auf diesen Moment hinarbeiten.

 Elio di Rupo tritt öffentlich meist mit seiner roten Fliege auf.

Elio di Rupo tritt öffentlich meist mit seiner roten Fliege auf.

536 Tage war Belgien ohne Regierung, nun haben sich die zerstrittenen Lager doch noch auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Es ist ein historischer Moment nicht nur für di Rupo, denn seit den 1970er Jahren hat Belgien keinen französischsprachigen Ministerpräsidenten mehr gehabt. Die Einbindung der Flamen im chronisch zerstrittenen belgischen Königreich gilt deshalb als große Herausforderung für Di Rupo, den Chef der frankophonen Sozialisten (PS).

Der Flame Yves Leterme, dessen Kabinett im April 2010 zerbrochen war, zeigte seinem designierten Nachfolger diese Woche an, was er von dessen Flämischkenntnissen hält: Wenn die Regierung Rückhalt in der Gesellschaft haben wolle und ihr Chef "Schwierigkeiten hat, die Sprache der Mehrheit der Bevölkerung zu sprechen, kann das ein Problem sein", sagte Leterme im flämischen Fernsehen. Die Frage ist hochpolitisch, zerbrach doch auch Letermes Regierung letztlich am Sprachenstreit.

Aus dem belgischen Ruhrgebiet

Tatsächlich ist Di Rupos oft parodiertes Flämisch schlechter als Letermes fließendes Französisch. Wenn jetzt ein Frankophoner das Steuer übernimmt, ist das ein echter und zugleich riskanter Neuanfang: Da die Flamen rund 60 Prozent der Belgier ausmachen, stellten sie in den vergangenen Jahrzehnten auch stets den Ministerpräsidenten. Der letzte Wallone, Edmond Leburton, wurde 1973 gewählt, der letzte Brüsseler - die Hauptstadt ist offiziell zweisprachig, de facto aber frankophon dominiert -, Paul Vanden Boeynants, gab von Ende 1978 bis Anfang 1979 ein kurzes Zwischenspiel.

Di Rupo wurde 1951 in der Wallonie geboren, die einst mit Zechen und Schwerindustrie gleichsam das belgische Ruhrgebiet war. Seine Familie - der Name verrät italienische Wurzeln - war arm, der Vater starb ein Jahr nach Elios Geburt, sechs weitere Geschwister mussten versorgt werden. Von der Ausbildung her ist er Naturwissenschaftler. Er promovierte in Chemie, bevor er sich der Politik verschrieb.

Diese führte ihn bis ins EU-Parlament und an die Spitze der Sozialistischen Internationale. Als Chef der PS polierte er deren affärengebeuteltes Bild auf.
Die meiste Arbeit leistete Di Rupo in der Wallonie und in Brüssel. Das könnte eine Bürde sein. Denn im früher ländlich-rückständigen, heute aber wirtschaftlich prosperierenden Flandern gibt es neben dem sprachlichen Vorbehalt gegenüber den französischsprachigen Landsleuten auch das Gefühl, diese mit durchfüttern zu müssen.

Diplomatisches Geschick

Nicht zuletzt darum drängen viele Flamen auf mehr Autonomie und "weniger Belgien". Ihr wichtigster Wortführer ist Bart De Wever, Chef der Neu-Flämischen Allianz (NVA), der dem Autonomiestreben eine republikanische Note beimischt und auch schon mal zur Audienz bei König Albert II. ohne Krawatte erscheint. Die NVA hatte die Parlamentswahlen im Juni 2010 in Flandern gewonnen.

Dagegen steht der Sozialist Di Rupo dem König als der Verkörperung des hergebrachten Belgien vergleichsweise nahe. In der Regierung werde er aber die Gegensätze zu den Flamen zu überbrücken suchen, ist der Politologie Dave Sinardet überzeugt; zur NVA ist der Graben allerdings so tief, dass sie gar nicht erst in der Regierung vertreten ist.

Schon in den zurückliegenden Marathon-Verhandlungen habe Di Rupo "diplomatisch und eher bedachtsam" agiert, sagt Sinardet. Auch für die europäische Ebene erwartet der Forscher von der Universität Antwerpen nicht, dass Di Rupo von seiner diplomatischen Art oder von der belgischen Linie abweiche. "Ich denke, es wird eine Kontinuität in der Außenpolitik geben."

(AFP/das)
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