Kiew: Eskalation der Gewalt in der Ukraine

Die "Neue Zürcher Zeitung" kommentiert am Donnerstag die Eskalation der Gewalt in Kiew:

"Anders als in Weissrussland oder in Russland gibt es in der Ukraine eine lebendige Bürgergesellschaft, die durch die gewaltsame Räumung des Maidan und durch andere repressive Massnahmen nicht einfach mundtot gemacht werden kann. Das Rückgrat der Protestbewegung bilden junge Leute, die sich keiner Partei verpflichtet fühlen. Sie wehren sich gegen staatliche Willkür und setzen sich ein für rechtsstaatliche Verhältnisse, für die Entwicklung der Ukraine zu einem modernen Land, für die Überwindung des sowjetischen Erbes, für Werte also, die im westlichen Teil Europas selbstverständlich sind. Sie wollen, dass ihr Land ein Teil Europas ist und nicht ein Anhängsel Russlands. Auch wenn der Maidan brennt, die Stimmen der Regierungsgegner werden nicht verstummen."

(Datum: 20. Februar 2014)

Die konservative britische Zeitung "The Times" fordert eine entschiedene Haltung der EU angesichts der Eskalation in der Ukraine:

"Verhandlungen mit dem ukrainischen Präsidenten (Viktor Janukowitsch) sind zum Scheitern verurteilt. Man kann diesem Mann nicht vertrauen, der erst eine politische Amnestie ankündigt und dann das Feuer auf seine politischen Gegner eröffnen lässt. Die EU muss eine klare Sprache sprechen. Sie will den Rücktritt von Janukowitsch, sie will mit einer neuen Nachfolge-Regierung eine Zusammenarbeit aushandeln und sie lehnt es ab, mit (dem russischen Präsidenten Wladimir) Putin über die Köpfe der Ukrainer hinweg zu verhandeln. Janukowitsch hat Gewalt eingesetzt, jedoch aus Schwäche gehandelt. Die Opposition in der Ukraine muss diese Schwäche ausnutzen, ohne selbst gewalttätig zu werden."

Die linksliberale Pariser Zeitung "Libération" fordert Entschiedenheit der Europäer angesichts der Eskalation der Gewalt in Kiew:

"Nach der bisherigen Unentschlossenheit sollten die Europäer dringend eine gemeinsame Stimme finden und entschieden handeln. Sie sollten endlich gezielte Sanktionen gegen die Ukraine beschließen, über die seit Wochen geredet wird. Frankreich und Deutschland sollten die Führungsrolle bei der Beschäftigung mit dem Problemfall Ukraine übernehmen. Dabei ist die angekündigte Reise von (Außenminister) Laurent Fabius nach Kiew eine gute Nachricht. Doch ohne stärkeren Druck auf (den russischen Präsidenten) Wladimir Putin, den mutmaßlichen Paten (des ukrainischen Präsidenten Viktor) Janukowitsch, ist nichts zu erreichen. Einige Tage vor Ende der Olympischen Spiele in Sotschi ist dem Kreml-Chef sicherlich nicht daran gelegen, dass eine schwere diplomatische Krise ihm das große Fest von Sotschi verdirbt."

Zur Haltung der EU angesichts der blutigen Auseinandersetzungen in der Ukraine meint die belgische Zeitung "De Standaard":

"Es ist die Rede von Sanktionen gegen die Verantwortlichen für das Blutvergießen, aber nicht von einem allgemeinen Boykott. Die Neigung, härter gegen eine korrupte, sich bereichernde Clique vorzugehen, die Rechte der Bevölkerung schändet, ist verständlich. Aber die Kräfteverhältnisse sind zu komplex für Abenteuer. Das Land ist gespalten zwischen einem nach Europa blickenden Westen und einem auf Moskau fixierten Osten. (...) In der EU gibt es kein Interesse an mehr als einem Assoziationsvertrag mit der Ukraine. Der Beitritt eines so großen Landes mit so bewegter politischer Kultur und Geschichte und geostrategischer Bedeutung ist nicht das, worauf dieses Europa wartet. Das Auseinanderfallen des Landes scheint eine Option zu sein, aber das würde die EU moralisch verpflichten, den westlichen Teil aufzunehmen. Das ist keine angenehme Aussicht."

Die "Frankfurter Allgemeine" kommentiert die von Merkel und Hollande beim Deutsch-Französichen Ministerrat gemeinsam verkündete Androhung von Sanktionen gegen die Führung der Ukraine:

"Die Ereignisse in der Ukraine haben die Tagesordnung des Deutsch-Französischen Ministerrates durcheinander gebracht. Das ist kein Beinbruch: Die Themen, die dort besprochen werden sollten - von Klimawandel bis Steuerharmonisierung -, stehen ohnehin in einer langfristigen Perspektive. Gute Zusammenarbeit hat sich aber gerade dort zu bewähren, wo schnell Entscheidungen getroffen werden müssen. (...) Jetzt hat die Stunde geschlagen, um laut und deutlich zu werden. Eine deutsch-französische Initiative kann den dafür notwendigen Prozess in der EU in Gang setzen. Es wäre eine gemeinsame Aktion, die auch die Annäherung zwischen beiden Ländern auf anderen Feldern stützen würde."

Zum Konflikt in der Ukraine schreibt die linksliberale spanische Zeitung "El País" (Madrid):

"Die blutige Unterdrückung der Proteste in der Ukraine durch Präsident Viktor Janukowitsch bringt die EU und Russland auf Konfrontationskurs. Das Drehbuch zur Repression kann nur der Kreml geschrieben haben. Russlands Präsident Wladimir Putin ist entschlossen zu verhindern, dass die Ukraine in die Einflusssphäre der EU hinüberwechselt; denn dies würde in seiner neoimperialistischen Sicht einen Fehlschlag bedeuten. Für die EU ist der Moment der Wahrheit gekommen. Brüssel will einerseits gute Beziehungen zu Russland unterhalten, andererseits die Manöver Putins bekämpfen, die eine Demokratisierung in der Ukraine verhindern. Die EU würde ihre ohnehin schon geringe Glaubwürdigkeit in der Welt ruinieren, wenn sie Moskau die Federführung überließe."

Die "Lausitzer Rundschau" aus Cottbus schreibt:

"Was kann Europa tun? Es muss jetzt ruhig bleiben. Und gleichzeitig entschlossen. Der Beschluss, das persönliche Vermögen des Janukowitsch-Clans und der Oligarchen einzufrieren und ihnen die geliebten Reisen in die Shopping-Paradiese des Westens zu versperren, ist richtig. Aber es kann dabei nicht um Bestrafung gehen, sondern um ein Druckmittel, damit die Herrschenden ernsthafte Verhandlungen mit der Opposition aufnehmen. Solche Verhandlungen muss die EU auch mit allen diplomatischen Mitteln unterstützen. Am Ende allerdings, da darf man sich nichts vormachen, wird nicht die Westorientierung des Landes liegen. Und auch nicht eine lupenreine Demokratie. Sondern, wenn überhaupt, ein Kompromiss. Denn die Ukraine ist in sich tief gespalten. Bei einer Zuspitzung wird es keine wirklichen Sieger geben. Nur viele Geschlagene."

Die liberale schwedische Tageszeitung "Dagens Nyheter" (Stockholm) kommentiert die Haltung der EU angesichts der Situation in der Ukraine:

"Die Union war sich vom Einsatz der Nato in Libyen bis zu Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen bei allem uneinig. In schweren Situationen fällt die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik oft zusammen. Die großen Länder Deutschland, Großbritannien und Frankreich haben unterschiedliche Interessen, die sie alle als die übergeordneten der EU betrachten. Auch im Falle der Ukraine sind solche Elemente zu finden. Einige EU-Länder fanden es falsch, die Freilassung von Julia Timoschenko zur Bedingung für ein Abkommen über eine Zusammenarbeit zu machen. Andere sind unschlüssig darüber, die Ukrainer jemals in die Union zu lassen. (...) Die Ukraine balanciert zwischen der EU und Putin. Die Wahl sollte einfach sein."

Die unabhängige französische Tageszeitung "Le Monde" beklagt die Differenzen der Europäer angesichts der gewalttätigen Ausschreitungen in Kiew:

"Die widersprüchlichen Reaktionen europäischer Hauptstädte auf die dramatische Wende der Ereignisse in Kiew ist beschämend. Es ist nicht der Augenblick, der Ukraine unhaltbare Versprechungen zu machen. Das Gebot der Stunde lautet, mit Nachdruck und mit einer Stimme zu sprechen. Man muss auf die Grundwerte der Europäischen Union pochen, für die Hunderttausende Ukrainer seit über drei Monaten kämpfen. Europa muss alle Druckmittel einsetzen, die zur Verfügung stehen. Das ist das absolute Minimum, das man am Mittwoch von (dem französischen Präsidenten) François Hollande, von (Bundeskanzlerin) Angela Merkel und von (EU-Kommissionspräsident) José Manuel Barroso erwartete, die praktischerweise in Paris zusammengekommen waren."

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