Kenosha Weißer Teenager wegen Mordes bei Protesten gegen Rassismus angeklagt

Kenosha · Bei den Protesten gegen Polizeigewalt in Kenosha soll ein 17-Jähriger zwei Menschen erschossen haben. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn wegen Mordes an. Sein Anwalt spricht von Notwehr.

 Kenosha, Wisconsin (USA): Blumen markieren die Stelle, an der ein Demonstrant am 25. August erschossen wurde.

Kenosha, Wisconsin (USA): Blumen markieren die Stelle, an der ein Demonstrant am 25. August erschossen wurde.

Foto: AFP/KEREM YUCEL

Nach der Tötung von zwei Menschen und der Verletzung eines weiteren bei Protesten gegen Polizeigewalt in der US-Stadt Kenosha (US-Staat Wisconsin) ist der verdächtige 17-Jährige angeklagt worden. Kyle R. werden von der Staatsanwaltschaft vorsätzlicher Mord, fahrlässige Tötung, versuchter Mord und zweifache fahrlässige Gefährdung vorgeworfen. Ihm droht im Falle einer Verurteilung wegen vorsätzlichen Mordes, dem schwersten Verbrechen in Wisconsin, eine lebenslange Haftstrafe. Von Richterseite wurde am Freitag bei einer im Internet übertragenen Besprechung eine Anhörung zur möglichen Auslieferung von R. von Illinois nach Wisconsin auf 25. September verschoben.

Der Teenager hatte sich in Kenosha offenbar einer Gruppe von bewaffneten Weißen angeschlossen, die aus anderen Orten angereist waren und nach eigenen Angaben Geschäfte in dem Ort vor Plünderern schützen wollten. Zunächst friedliche Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt waren dort zuvor teils in Ausschreitungen umgeschlagen.

Am Wochenende war der Schwarze Jacob Blake in Kenosha durch Polizeischüsse in den Rücken so schwer verwundet worden, dass er voraussichtlich nie wieder laufen kann. Blake ist 29 Jahre alt und Vater von sechs Kindern. Es handelt sich um einen neuen Fall mutmaßlicher Polizeigewalt, einem Dauerthema in den USA, vor allem seit der Tötung von George Floyd am 25. Mai in Minneapolis. In Kenosha hatte es deswegen im Anschluss Proteste gegeben.

Die Schüsse am Dienstagabend, die mutmaßlich von dem 17-jährigen Angeklagten abgegeben wurden, wurden zum großen Teil auf Handyvideos aufgenommen und im Internet verbreitet. Die Polizei von Kenosha muss sich deshalb Fragen über ihren Umgang mit dem mutmaßlichen Schützen gefallen lassen. Laut Zeugenaussagen und Videomaterial riefen mehrere Personen aus einer Menschenmenge den Polizisten zu, der Mann habe auf Menschen geschossen und sollte festgenommen werden. Dennoch ließen die Polizisten den Schützen augenscheinlich passieren und den Tatort mit einem Gewehr über der Schulter verlassen. Das offene Tragen von Waffen ist in Wisconsin erlaubt. Kyle R. wurde später in einem anderen Bundesstaat gefasst.

Der Sheriff von Kenosha County, David Beth, beschrieb die Szene als chaotisch und stressig, mit einer Menge Funkdurchsagen und schreienden, singenden und rennenden Menschen - Bedingungen, die ihm zufolge bei Polizisten eine Art „Tunnelvision“ auslösen können.

Auf Videos, die vor den Schüssen aufgenommen wurden, war zu sehen, wie die Polizisten von einem gepanzerten Fahrzeug aus bewaffneten Zivilisten dankten und ihnen Wasserflaschen zuwarfen. Einer aus der Gruppe schien der spätere mutmaßliche Schütze zu sein.

Die Bürgerrechtsorganisation ACLU forderte den Rücktritt des Polizeichefs von Kenosha, Dan Miskinis, und von Beth wegen ihres Umgangs mit den Schüssen auf Blake und den folgenden Protesten.

Eine Rechtsvertretung des Angeklagten hatte die Verschiebung der Auslieferungsanhörung beantragt, damit er einen Privatanwalt anheuern kann. R. war am Mittwoch in seiner Heimatstadt Antioch in Illinois, 24 Kilometer von Kenosha entfernt, in Gewahrsam genommen worden.

Ein Anwalt des Teenagers, Lin Wood, sagte, R. habe in Notwehr gehandelt. Videomaterial zeige, wie R. verfolgt wird und in ein Auto flüchtet, bevor die Schüsse zu hören und eine Person tot ist. Dann laufe der Schütze die Straße entlang, wo er von mehreren Menschen verfolgt wird, die rufen, er habe soeben auf jemanden geschossen. Mehrere nähern sich ihm, er stolpert und schießt erneut, tötet einen weiteren Mann und verletzt einen dritten.

Unterdessen berichten US-Medien, der durch Polizeischüsse in den Rücken schwer verletzte Afroamerikaner Jacob Blake werde offenbar im Krankenhaus an sein Bett gefesselt. "Warum haben sie diesen kalten Stahl am Knöchel meines Sohnes?" fragte Blakes Vater am Freitag im Nachrichtensender CNN. "Er kann nicht aufstehen, er könnte selbst dann nicht aufstehen, wenn er es wollte."

Blakes Onkel sprach von einer "Beleidigung". "Er ist gelähmt und kann nicht laufen, und sie ketten ihn an das Bett. Warum?"

Der Gouverneur des Bundesstaats Wisconsin, Tony Evers, hatte bereits am Donnerstag Unverständnis über die Sicherheitsmaßnahme gezeigt. "Ich persönlich verstehe nicht, warum das notwendig sein sollte", sagte der US-Demokrat. "Ich würde mir wünschen, dass wir einen besseren Weg finden würden, ihm bei der Genesung zu helfen." Das Festketten erscheine ihm wie "schlechte Medizin".

Blake ist nach Angaben seiner Familie und Anwälte derzeit gelähmt und wird womöglich nie wieder gehen können.

(peng/dpa)
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