Gute Beziehungen zu Washington und den Taliban Katar wird nach Abzug der USA zu wichtigem Akteur in Afghanistan

Dubai · Zehntausende Menschen wurden mit der Hilfe des Wüstenemirats evakuiert. Nun avanciert das Land zum Vermittler am Hindukusch – wegen guter Beziehungen zu den USA und den Taliban.

 Fast 40 Prozent aller aus Afghanistan Evakuierten wurden über Katar ausgeflogen.

Fast 40 Prozent aller aus Afghanistan Evakuierten wurden über Katar ausgeflogen.

Foto: dpa/Staff Sgt. True Thao

Bei der US-Evakuierung Zehntausender aus Afghanistan hat das Emirat Katar eine herausragende Rolle gespielt. Aufgrund seiner Beziehungen sowohl zu Washington als auch zu den Taliban wurde der winzige arabische Golfstaat nun um Mithilfe beim weiteren Vorgehen in Afghanistan gebeten.

Bei einem virtuellen Treffen von US-Außenminister Antony Blinken am Montag, bei dem angesichts der Machtübernahme der Taliban das weitere Vorgehen koordiniert werden sollte, gehörte Katar zu den Schwergewichten.

Berichten zufolge wurde Katar auch von den Taliban gebeten, zivile technische Hilfe am Flughafen von Kabul zu leisten, sobald der militärische Abzug der USA am Dienstag abgeschlossen war. Die Behörden in Katar äußerten sich dazu nicht. Auch Organisationen der Vereinten Nationen bitten Katar um Unterstützung bei Hilfslieferungen nach Afghanistan.

Diese Entwicklung kam recht unerwartet: Das Emirat, das eine Landgrenze mit Saudi-Arabien und ein riesiges Gasfeld mit dem Iran im Persischen Golf unterhält, sollte ursprünglich nur als Durchgangsstation für ein paar Tausend Menschen dienen, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten aus Afghanistan ausgeflogen werden sollten. Doch nach der überraschend schnellen Übernahme Kabuls durch die Taliban am 15. August baten die USA das Emirat um Hilfe bei der Evakuierungsaktion.

Am Ende wurden fast 40 Prozent aller Evakuierten über Katar ausgeflogen, was der Führung in der Hauptstadt Doha viel Lob aus Washington einbrachte. Auch Büros internationaler Medien stützten sich bei der Evakuierung ihrer Mitarbeiter auf Katar.
Nach US-Angaben wurden seit dem 14. August 113 500 Menschen aus Afghanistan evakuiert. Mehr als 43 000 davon durchliefen Katar nach Angaben des Emirates im Transit.

Katar ist Standort der größten US-Militärbasis der Region, Al-Udeid. Gleichzeitig entschied sich das Emirat vor Jahren, der politischen Führung der Taliban Exil zu gewähren, was ihm auch einen gewissen Einfluss auf die militante Gruppe verschaffte – hier fanden die Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban statt.

Die stellvertretende Außenministerin Katars, Lolwa Al Chater, bestätigte politische Erfolge des Landes in den vergangenen Wochen, bestritt jedoch rein strategische Überlegungen: „Wenn jemand annimmt, dass es hier nur um politische Vorteile geht, dann glauben Sie mir, es gibt Möglichkeiten, PR zu machen, die viel einfacher sind, als unsere Leute vor Ort zu gefährden“, sagte sie.

Einige der heikelsten Rettungsaktionen in Afghanistan stemmte Katar mit nur ein paar hundert Soldaten und eigenen Militärmaschinen. Das Emirat evakuierte unter anderem ein Mädcheninternat und brachte ein Mädchen-Robotik-Team und Journalisten internationaler Medien in Sicherheit. Der Botschafter von Katar begleitete Buskonvois durch Taliban-Kontrollpunkte in Kabul und an verschiedenen Checkpoints westlicher Soldaten am Flughafen vorbei, wo sich Menschenmengen versammelt hatten, die verzweifelt zu fliehen versuchten.

Insgesamt gab Katar nach Angaben Al Chaters rund 3000 Menschen sicheres Geleit zum Flughafen und flog bis zu 1500 auf Bitten internationaler Organisationen nach Prüfung ihrer Identität aus.

Katar sei fähig, mit verschiedenen Parteien zu reden und gewillt, Ausreisewillige durch das von Taliban kontrollierte Kabul zu begleiten, sagte Al Chater: „Manche Leute realisieren nicht, dass es bei einer solchen Reise nicht mit einem Telefonat mit den Taliban getan ist. Man hat Kontrollpunkte von Seiten der USA, Großbritanniens, der NATO und der Türkei… und wir müssen mit all diesen Variablen und Faktoren jonglieren.

Zwar versprachen die Taliban all jenen, die in Afghanistan bleiben, eine Amnestie. Doch viele Ausreisewillige, darunter Bürgerrechtler, Ortskräfte westlicher Armeen und Frauen, die um ihre Freiheit bangen, trauen den Islamisten nicht. Hinzu kommt die zunehmende Bedrohung durch andere bewaffnete Gruppen. In der vergangenen Woche kamen bei einem Selbstmordanschlag mehr als 180 Menschen vor dem Kabuler Flughafen ums Leben.

Die von den USA geleiteten Evakuierungen waren geprägt von Fehleinschätzungen und Chaos, was sich auf den Militärstützpunkt Al-Udeid auswirkte: Dort waren die Hangars so überfüllt, dass die USA während der Spitzenzeiten am 20. August Flüge aus Kabul um einige Stunden aussetzten. Nachbarländer wie Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate nahmen mehrere tausend Evakuierte auf, um Druck von der US-Basis zu nehmen.
Ein von der Washington Post veröffentlichtes Video zeigt Hunderte Evakuierte in einem solchen Hangar mit nur einer Toilette.

Katar baute ein Feldlazarett, zusätzliche Unterkünfte und mobile Waschräume. Zusätzlich zu den vom US-Militär bereitgestellten Hilfsgütern verteilt das katarische Militär 50 000 Mahlzeiten am Tag. Hinzu kommt die Hilfe örtlicher Wohlfahrtsorganisationen. Um die aus Afghanistan Ausgeflogenen aus Doha in andere Länder zu transportieren, stellte Qatar Airways zehn Flugzeuge zur Verfügung.

Nun verbleiben rund 20 000 Evakuierte in Katar, von denen manche auf die Umsiedlung in ein anderes Land warten und monatelang bleiben könnten. Seit ihrer Ankunft in Katar brachten sieben afghanische Frauen Kinder zur Welt.

Katar nimmt nur eine sehr kleine Zahl von Evakuierten auf, darunter eine Gruppe von Studentinnen, denen Stipendien angeboten wurden, um ihr Studium in Doha fortzusetzen. Einige Evakuierte bringt das Emirat auch in möblierten Wohnungen unter, die für die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Doha gebaut wurden.

Der Golfstaat hat etwas mehr als 300 000 Einwohner, wobei die Zahl von Mitarbeitern ausländischer Unternehmen mit befristeten Visa die der örtlichen Bevölkerung bei weitem übersteigt.
Nach Angaben des Weißen Hauses übermittelte US-Präsident Joe Biden dem 41-jährigen Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, telefonisch seinen Dank und betonte, ohne die Unterstützung Katars sei die Luftbrücke nicht möglich gewesen.

(bora/dpa)
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