Brexit-Verhandlungen Etappensieg für Theresa May

London · Das britische Kabinett hat dem Brexit-Vertragsentwurf zugestimmt. Vorausgegangen war eine Nervenschlacht. Die nächste Hürde für die Premierministerin ist noch höher.

Auf drei Stunden war die Kabinettssitzung angesetzt, dann dauerte sie fast doppelt so lang. Premierministerin Theresa May und ihre Ministerriege berieten den Vertragsentwurf über den Austritt des Königreichs aus der Europäischen Union. Jedes der über 20 Mitglieder des Kabinetts erhielt die Möglichkeit, sich zu dem rund 500 Seiten starken Vertragstext zu äußern. „Lang, detailliert und leidenschaftlich“, so May nach der Sitzung, seien die Gespräche gewesen.

Es war fast halb acht am Abend, als eine sichtlich erschöpfte Premierministerin vor die Tür ihres Amtssitzes trat. „Die Entscheidung war schwierig“, sagte sie. Aber das Kabinett habe beschlossen, den Vertragstext anzunehmen. Die Entscheidung sei im Interesse des Landes.

Damit ist die erste Hürde genommen. Jetzt ist der Weg frei für einen außerplanmäßigen EU-Gipfel Ende November, bei dem die anderen Mitgliedstaaten dem Brexit-Deal offiziell zustimmen können. Fast zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum und nur gut fünfeinhalb Monate vor dem geplanten Austritt im März 2019 hat Großbritannien endlich einen ersten Durchbruch erreicht: Man hat jetzt die Chance, den Brexit in geregelten Bahnen zu vollziehen (die EU-Kommission veröffentliche den Entwurf für das Brexit-Abkommen am Mittwoch-Abend - die Link finden Sie hier.)

In London ging es am Mittwoch nicht nur um den Austritt aus der Europäischen Union, sondern auch um das Schicksal der Regierung. Einige britische Minister hätten „große Vorbehalte“ gegen den Entwurf gehabt, wurde berichtet. Medien spekulierten über Rücktritte.

Nachdem am Dienstagnachmittag Oliver Robbins, der britische Unterhändler in Brüssel, und Sabine Weyand, seine EU-Verhandlungspartnerin, signalisiert hatten, dass man einen stabilen Vertragstext vereinbart habe, hatte in der Downing Street die Aktion begonnen, die Mitglieder des Kabinetts zu überzeugen. Im Laufe des Abends nahm sich May einen Kollegen nach dem anderen vor. In weiteren Einzelgesprächen am Mittwochmorgen versuchte die Premierministerin, Rücktritte von Kabinettsmitgliedern zu verhindern.

Der größte Streit innerhalb der Regierungsfraktion dreht sich um die Frage, wie das Problem der irischen Grenze gelöst werden kann. Die Europäische Union besteht darauf, dass es zu keiner harten Grenze zwischen Nordirland und der Irischen Republik im Süden der Insel kommen darf, und hatte ursprünglich als sogenannten Backstop vorgeschlagen, dass Nordirland innerhalb der Zollunion und Teilen des Binnenmarktes verbleibt. Jetzt hat sich die EU darauf eingelassen, dass - solange keine anderweitige Lösung gefunden wird - nicht allein Nordirland in der Zollunion verbleibt, sondern das gesamte Vereinigte Königreich, womit Schlagbäume und Grenzkontrollen überflüssig würden und ein Backstop nicht mehr nötig wäre.

Den Brexit-Hardlinern gefällt vieles an dieser Lösung nicht. Bei einem Verbleib in der Zollunion müsste sich das Vereinigte Königreich weiterhin an europäische Spielregeln halten, die Arbeitnehmerrechte, Umweltschutzmaßnahmen oder die Begrenzung von staatlichen Hilfen für Unternehmen betreffen. Außerdem könnten britische Gewässer weiterhin für europäische Fischerboote offenstehen. Und nicht nur Brexit-Ultras, sondern auch gemäßigte Konservative befürchten, dass ein Verbleib in der Zollunion weder zeitlich befristet ist, noch von Großbritannien einseitig gekündigt werden kann. Das würde bedeuten, dass das Königreich dauerhaft an die Europäische Union gebunden wäre und keine unabhängige Handelspolitik betreiben könnte.

Ein jetzt bekannt gewordenes Dokument von EU-Unterhändlerin Weyand scheint das zu bestätigen. In einer diplomatischen Note an europäische Botschafter, die die „Times“ zitierte, schrieb Weyand, dass „die Zollunion die Basis für die künftige Handelsbeziehung“ sein werde: „Sie müssen ihre Regeln anpassen, aber die EU wird alle Kontrollen behalten.“ Genau das ist es, wovor es gestandenen Brexit-Fans graut: Auf unabsehbare Zeit die EU-Vorgaben erfüllen zu müssen, ohne irgendwelchen Einfluss auf sie nehmen zu können.

Besonders laut gegen den Brexit-Deal protestierten die zehn Abgeordneten der DUP, jener nordirischen Unionisten-Partei, die Mays Minderheitsregierung toleriert. Auch die „European Research Group“, ein Verbund von Hardlinern innerhalb der Regierungsfraktion, machte klar, dass man gegen den Austrittsvertrag stimmen werde, weil er, wie ihr Vorsitzender Jacob Rees-Mogg protestierte, das Königreich zum „Vasallenstaat“ mache.

Damit schwinden die Chancen, dass der Deal durchs Parlament kommt. Die Opposition will nämlich ebenfalls gegen den Austrittsvertrag stimmen. May hat jetzt eine noch höhere Hürde zu nehmen: eine Mehrheit im Unterhaus zu finden, die mit ihrem Deal leben kann.

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