Gewaltspirale in Ägyptens Großstädten Junge Straßenkämpfer gegen Islamisten

Kairo · Die Gewalt gegen Demonstranten hat Ägyptens Jugend seit Beginn der ägyptischen Revolution im Jahr 2011 radikalisiert. Ein "Schwarzer Block" gewinnt Anhänger.

Ägypten im Januar: Krawalle am Jahrestag der Revolution
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Der Hass hat sich so tief in Ibrahims Daouds* Seele gegraben wie die Kugeln in den Körper seines Freundes Christi, den sie im November auf dem Tahrir-Platz erschossen haben. Er holt sein Handy aus der Tasche. Irgendwo zwischen "Eminem" und "FC Barcelona" hat er die Bilder abgespeichert.

Eines zeigt ein blutüberströmtes Gesicht, in dem vor lauter Rot kaum noch etwas zu erkennen ist. Dann ein zweites Bild, es zeigt den gewaschenen Leichnam auf einer Bahre mit zwei kreisrunden Löchern im Hals und in der Stirn. Christi wurde 18 Jahre alt.

Zu viele Bilder vom Tod hat Ibrahim Daoud seit dem Beginn der ägyptischen Revolution 2011 auf seinem Handy gespeichert. Sie zeugen vom Terror gegen die jungen Demonstranten.

Pure Mordlust

Doch die Repression habe sich zu purer Mordlust gesteigert, seit der Muslimbruder Mohammed Mursi 2012 an die Macht gekommen sei, sagt der 19-Jährige. Jetzt seien es nicht mehr nur die Uniformierten, die Jagd auf die Jugendlichen machen, sondern auch die Bärtigen.

Daoud spielt ein weiteres Video ab. Es zeigt Demonstranten, die hilflos Schutz suchen inmitten ätzender Tränengaswolken. Sie würgen und erbrechen sich auf die Schuhe. Dann fallen wieder Schüsse. "An dem Tag haben sie Gika umgebracht", sagt Ibrahim. Zwei Freunde erschossen an zwei Tagen: Der 19. und der 20. November haben Daoud für immer verändert.

Und nicht nur ihn. Von Alexandria am Mittelmeer bis Port Said am Roten Meer schlagen die jugendlichen Anhänger der Revolution seither zurück. Schwarzmaskierte greifen die Polizei an. Sie zünden die Parteizentralen der Muslimbrüder oder der Salafisten an und schlagen alles kurz und klein, was islamistisch daherkommt. Wenn die Bärtigen sich versammeln, sind die Schwarzmaskierten schon da. Und auch sie haben Knüppel und lange Messer.

Kairos Altstadt gleicht einer von den Islamisten befreiten Zone. Die Jugend hat hier die Macht an sich gerissen. Bärte schmücken in der näheren Umgebung des Tahrirplatzes nur noch die Puppen, die von Ampeln und Bäumen baumeln. "Der Muslimbruder an den Galgen, der Salafist in die Hölle", haben sie auf die Puppen gepinselt. Ibrahim Daoud ist stolz auf das, was die Regierung Anarchie nennt. Das ist nicht erstaunlich — er nennt sich selbst einen muslimischen Anarchisten.

Gleiches mit Gleichem vergelten

Wenige Tage nach dem Tod von Christi und Gika traf sich ein harter Kern von 22 jungen Männern und Frauen aus der Zeltstadt am Tahrir. Von nun an sollte Gleiches mit Gleichem vergolten werden. Es fehlte nur noch ein Name für die neue Bewegung. "Ich habe im Internet Videos gesehen von einem ,Schwarzen Block' in Berlin. Die tragen schwarze Masken und schlagen sich am 1. Mai mit den Bullen und den Faschisten — genau wie wir", sagt Ibrahim Daoud.

Ebenfalls übers Internet verbreitet sich die Nachricht von den jungen Straßenkämpfern wie ein Lauffeuer in Ägypten. In Port Said bildete sich eine besonders aggressive Zelle des "Schwarzen Blocks", und selbst in Alexandria, wo einst die Islamisten viele Anhänger hatten, brannten nun die Parteizentralen der Muslimbrüder.

Ein Molotow-Cocktail ist schnell gemixt. Es braucht ein paar leere Colaflaschen, Lappen und einen Kanister Benzin von der Tankstelle. Ibrahim Daoud füllt sie ab in seiner kleiner Wohnung im Armenviertel Bulaq. Er steckt sie dann in seinen Rucksack zusammen mit der Wollmütze und einem Halstuch, das ihn gegen Tränengas schützen soll. In der U-Bahn spielt er nervös mit seinem Handy.

Ein Flashmob ist geplant vor dem Sitz der Lokalregierung in Gizeh, der Nachbarstadt Kairos. "Ich fände es gut, wenn es richtig knallen würde", sagt Daoud und meint es ernst. Doch der Krawall bleibt aus, weil die Sicherheitskräfte passiv bleiben und die Islamisten nicht auftauchen. Der 19-Jährige verteilt bloß Flugblätter und schaut grimmig zu den Polizisten. Sie sind kaum älter als er.

Der Hass verändert die Menschen

Der Hass hat Daoud verändert. Er ist jetzt Teil einer Bewegung, die seine Wut teilt. Aber es ist auch einsamer um ihn geworden. Die Freundin hat ihn verlassen, weil sie die Gewalt ablehnt. Ibrahim Daoud hat auch Freunde, die mit ihm demonstrieren gehen, es aber belassen wollen bei Aufrufen zum zivilen Ungehorsam. So will der friedliche Teil der Demokratiebewegung das Volk bis zur Parlamentswahl im Frühjahr gegen Mohammed Mursi mobilisieren.

Doch am Ende hat Ibrahim Daoud seinen Willen bekommen. Die Demokratie-Aktivisten ziehen aus Gizeh ab, der "Schwarze Block" hält in der Nacht Einzug. Die Straße vor dem Sitz der Lokalregierung wird blockiert, damit die hohen Herren mit den langen Bärten weder herein noch heraus können. Steine fliegen, und Daoud ist ganz vorne mit dabei, über dem Kopf die schwarze Maske.

Die Augen blitzen vor Erregung aus den ausgeschnittenen Löchern in der Wollmütze. Fast scheint es, als würde er das Tränengas herbeisehnen, das die Lider und den Rachen in Brand setzt. Er sagt, dass er keine Angst habe zu sterben.

Aber ebenso sagt er, dass er mittlerweile auch bereit sei zu töten.

* Namen noch lebender Personen geändert

(RP/nbe/felt)
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