Luxemburg sein Parlament Jean-Claude Juncker muss um Wiederwahl kämpfen

Brüssel · Eine Geheimdienst-Affäre hat dem überzeugten Europäer schwer geschadet. Morgen wählt Luxemburg sein Parlament.

Meinungsforscher hatten in Luxemburg ein leichtes Leben. Wahlen im kleinen Großherzogtum waren zuletzt so vorhersehbar wie sonst nur in autoritären Regimen: Am Ende gewinnt immer Jean-Claude Juncker, hieß das ungeschriebene Gesetz. Seit 1995 ist der 58-Jährige Regierungschef. Seine Christsozialen dürften zwar auch morgen stärkste Kraft werden. Doch scheint es diesmal nicht so sicher, dass Juncker Ministerpräsident bleibt.

Zwar ist er trotz der jüngsten Affäre um illegale Abhöraktionen des Geheimdienstes SREL der beliebteste Politiker des Landes. Aber sein bisheriger Koalitionspartner, die Sozialistische Arbeiterpartei (LSAP), hat Juncker wegen dessen politischer Verantwortung für die Geheimdienstaffäre die Gefolgschaft aufgekündigt — und den vorgezogenen Urnengang erzwungen.

"Das Land braucht neue Männer und Frauen"

LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider (42) verspricht einen Neuanfang und will Premier einer Ampel-Koalition mit Liberalen und Grünen werden. "Das Land braucht neue Männer und Frauen", sagte er. Wenn es zu dritt möglich sei, Reformen zur Modernisierung des Staates einzuleiten, dann sei er für eine Dreier-Koalition, kündigte der bisherige Wirtschaftsminister an.

Dies sei zwar "demokratisch legitim", aber nicht im Landesinteresse, ätzte Juncker gegen die ungewohnte Konkurrenz. Für den dienstältesten Regierungschef Europas kommt es einer Majestätsbeleidigung gleich, dass die Sozialisten den Aufstand proben. "Ich fühle mich verletzt. Das Aufkündigen einer jahrzehntelangen Partnerschaft hat wehgetan", sagte der als Europapolitiker international geschätzte Juncker. Er will Schneiders Plan durchkreuzen. Den Mitbürgern versprach er dafür, auf jeden Fall im Großherzogtum zu bleiben — notfalls als Oppositionsführer. Hartnäckig halten sich indes die Gerüchte, er sei nur noch einmal angetreten, um sich die Chance auf einen EU-Spitzenjob zu erhalten. Die Konservativen suchen noch händeringend einen Spitzenkandidaten für die Europawahl, der auch Kommissionspräsident werden soll. Auch Ratspräsident Herman van Rompuy braucht bald einen Nachfolger.

"Zusammen für Luxemburg"

Juncker selbst hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm das Großherzogtum zu klein ist. Er führte die Gemeinschaftswährung mit ein, verteidigte sie in der Krise als Euro-Gruppenchef. Brüssel ist seine Bühne, Europa sein Zuhause. Deshalb unterschätzte er lange die Brisanz der Geheimdienst-Missstände daheim. Darum mögen viele seinen Heimattreue-Schwüren jetzt nicht so recht glauben. "Zusammen für Luxemburg", lautete Junckers Wahlkampfmotto. Seine staatsmännische Ader kam auch bei Auftritten in der Provinz immer wieder zum Vorschein. "Wenn ich den chinesischen Staatschef treffe, nehme ich ihn in den Arm und sage: Wir beide repräsentieren ein Drittel der Weltbevölkerung", lautete ein Lieblingswitz in seinen Reden.

Junckers Rivale Schneider prangerte hingegen die "Missstände" im Land an. Luxemburg ist zwar immer noch das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der EU. Doch die Perspektiven verdüstern sich: Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr den Vorhersagen der EU-Kommission zufolge um nur 0,8 Prozent zulegen. Die Arbeitslosigkeit ist mit prognostizierten 5,5 Prozent gering, tendiert aber nach oben. Das bisherige Geschäftsmodell als Steueroase und ungewöhnlich attraktiver Standort für internationale Banken ist kaum noch haltbar. Und so ist eins schon vor den Wahlen klar: Die Zeiten werden für Jean-Claude Juncker ungemütlicher, selbst wenn er Ministerpräsident in Luxemburg bleibt.

(RP)
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