Maidan-Rat einig Jazenjuk soll Ministerpräsident der Ukraine werden

Kiew · Während Vitali Klitschko sich für das Amt des ukrainischen Präsidenten beworben hat, hat die ukrainische Protestbewegung den Politiker Arseni Jazenjuk als neuen Regierungschef nominiert.

 Der Oppositionsführer Arseni Jazenjuk soll der neue Regierungschef der Ukraine werden.

Der Oppositionsführer Arseni Jazenjuk soll der neue Regierungschef der Ukraine werden.

Foto: dpa, gam soe

Die ukrainische Protestbewegung hat den Politiker Arseni Jazenjuk als Chef der Übergangsregierung nominiert. Der sogenannte Maidan-Rat, in dem die Führungsspitzen der bisherigen Oppositionsbewegung versammelt sind, bestimmte den 39-jährigen Vorsitzenden der Vaterlandspartei von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko am Mittwoch zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Seine Nominierung wurde am Abend zusammen mit weiteren Kabinettsmitgliedern vor zehntausenden Menschen auf dem Maidan-Platz verkündet. Jazenjuk muss nun am Donnerstag noch vom Parlament bestätigt werden.

Der proeuropäische Politiker konnte sich während der Proteste gegen den inzwischen entmachteten Staatschef Viktor Janukowitsch als einer der Oppositionsführer profilieren. Der Jurist und Ökonom war trotz seines geringen Alters bereits Wirtschafts- und Außenminister. Zudem verfügt der eher zurückhaltende Jazenjuk, der für seine demonstrative Sparsamkeit bekannt ist, über Erfahrung in der Welthandelsorganisation (WTO).

Janukowitsch war am Samstag nach monatelangen Massenprotesten vom Parlament abgesetzt worden. Für den 25. Mai wurden Präsidentschaftswahlen anberaumt.

Klitschkos will Präsident werden

Unterdessen zeigt sich Vitali Klitschko kampfbereit. Gleich am ersten Tag der Bewerbungsfrist wirft der frühere Boxweltmeister seine Kandidatur für das Präsidentenamt in der Ukraine in den Ring. "Es muss Gerechtigkeit herrschen", betont der 42-Jährige, der den Schritt bereits vor Monaten angekündigt hatte. Nach Jahren unter dem nun gestürzten Viktor Janukowitsch und dessen offenkundig zutiefst korruptem System will der Sportstar am 25. Mai die Abstimmung gewinnen und seine Heimat verändern.

Dank seiner zahlreichen erfolgreichen Boxkämpfe und seinem Widerstand gegen Janukowitsch feiert vor allem der Westen den Zweimeterhünen wie einen Popstar. Aber viele Ukrainer sehen "Dr. Eisenfaust" kritisch.

Sie werfen dem Chef der im Parlament vertretenen Partei Udar (Schlag) vor, er besitze weder politisches Talent noch habe er überhaupt ein Konzept. Während der monatelangen und letztlich blutigen Proteste gegen Janukowitsch steht Klitschko an vorderster Front, verhandelt immer wieder mit dem Staatschef. Doch auf der Protestbühne macht er nicht immer eine gute Figur. Er hat nicht das Sprachtalent eines Arseni Jazenjuk, dem Fraktionschef der Partei von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Vor allem auf Ukrainisch tut sich der russische Muttersprachler mit freien Reden schwer, häufig hält er einen Zettel mit Stichworten in der Hand.

Klitschkos Einfluss auf die radikalen Kräfte, die den Straßenprotest stützen, ist gering. Eingebrannt hat sich ein Bild, als Demonstranten ihn mit Pulver aus einem Feuerlöscher angreifen. Mehrmals pfiffen ihn die Menschen aus auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan), dem Zentrum des Protests in Kiew. Etwa weil er dem verhassten Janukowitsch bei Verhandlungen die Hand schüttelte. Dafür entschuldigt sich Klitschko.

"Er ist halt ein Sportler, kein Politiker", meint der 49 Jahre alte Wachmann Roman auf dem Maidan. Solche Stimmen sind häufig zu hören. Klitschko ist als Boxer anerkannt, als Politiker hat er sein Profil noch nicht geschärft. Angelastet wird ihm auch, dass er bereits zweimal bei der Bürgermeisterwahl in Kiew unterlag. Hinzu kommen Berichte, Klitschko erfülle gar nicht die Voraussetzungen an einen Präsidentenwerber, weil er so lange in Hamburg gelebt habe. Bedingung ist unter anderem, so steht es in Artikel 103 der Verfassung, dass Kandidaten in den vergangenen Jahren stets ihren Wohnsitz in der Ukraine gehabt haben müssen.

Gerne zeigt sich Klitschko lachend und händeschüttelnd mit westlichen Spitzenpolitikern. In Berlin traf er sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier steht er in engem Austausch. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz war er der heimliche Star, der Auftritt galt als Punktsieg.

Nie macht der Ukrainer einen Hehl daraus, dass er die Ex-Sowjetrepublik nach Westen führen will. Viele Landsleute sind froh, dass einer der ihren im Ausland solch ein gutes Ansehen hat. Daher hat Klitschko bei aller Kritik drei Monate vor der Präsidentenwahl Chancen auf das höchste Staatsamt. Unter allen potenziellen Bewerbern kommt "Klitsch", wie ihn die US-Spitzendiplomatin Victoria Nuland nennt, auf die höchsten Vertrauensraten. "Die Menschen hoffen auf eine Regierung, die endlich zu arbeiten beginnt und die Korruption überwindet", betont der Vater dreier Kinder im Gespräch mit der Zeitung "Segodnja".

Mittlerweile seit knapp anderthalb Jahren als Fraktionschef im Parlament an vorderster Front, gilt Klitschko noch immer als neues Gesicht - im Vergleich etwa zu der aus der Haft entlassenen Timoschenko, die noch mit einer definitiven Kandidatur zögert. Dass er den Wahlkampf durchaus beherrscht, beweist das sehr gute Ergebnis seiner Partei bei der Parlamentswahl im Herbst 2012.

Erfolg könnte der Ex-Boxer nach Ansicht von Experten vor allem haben, wenn er die russischsprachige Bevölkerung im Süden und Osten für sich gewinnt. Mit dem Sturz Janukowitschs hat sich dort eine Lücke aufgetan, es fehlt eine Identifikationsfigur.

(AFP/dpa)
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