Machtkampf in der Ukraine Janukowitsch hat Kiew verlassen

Kiew · Während die Gegner Viktor Janukowitschs nach eigenen Angaben die Macht in Kiew ergriffen haben, soll der ukrainische Präsident Medienberichten zufolge die Hauptstadt verlassen haben. Vitali Klitschko will Janukowitsch durch das Parlament absetzen lassen. Derweil hat der ukrainische Parlamentschef Wladimir Rybak seinen Rücktritt erklärt.

Kiew: EU-Vereinbarung in Ukraine unterzeichnet – Pressestimmen
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Foto: dpa, tba fpt

Der Vertraute von Präsident Viktor Janukowitsch gab am Samstag gesundheitliche Gründe für den Schritt an. Das teilte sein Stellvertreter am Morgen vor der Rada mit. Zugleich kündigten mehrere Abgeordnete aus Janukowitschs Partei der Regionen an, die Partei aus Protest gegen den Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten zu verlassen.

Unterdessen will der ukrainische Oppositionspolitiker und Ex-Boxprofi Vitali Klitschko will den nicht auffindbaren Präsidenten durch das Parlament in Kiew absetzen lassen. "Das Parlament ist heute das einzige legitime Organ, das Entscheidungen trifft", sagte Klitschko am Samstag in Kiew. Es müsse - wie die Leute es forderten - nun eine Anordnung beschlossen werden, die zur Entmachtung des Präsidenten und zu vorgezogenen Präsidentenwahlen führe. Ein anderer Abgeordneter hatte einen Vorschlag für ein Amtsenthebungsverfahren in die Oberste Rada eingebracht. Das Parlament wollte zudem über eine Übergangsregierung entscheiden.

Derweil berichteten Journalisten des Fernsehsenders Kanal 5, sie seien ohne Probleme in die normalerweise streng bewachte Residenz des Präsidenten in einem Vorort von Kiew eingedrungen. Im Zentrum Kiews standen Demonstranten nur 50 Meter vom Eingang des Präsidentenpalastes entfernt, wie Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP berichteten.

Lage weiter angespannt

Auch nach der Unterzeichnung des Abkommens zur Überwindung der Krise in der Ukraine ist die Lage angespannt geblieben. Bis zu 10.000 Demonstranten harrten über Nacht bis zum Samstagmorgen auf dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum Kiews aus, wie AFP-Korrespondenten beobachteten. Die Demonstranten forderten den sofortigen Rücktritt von Präsident Viktor Janukowitsch.

Eine Gruppe Ultranationalisten hatte dem Staatschef am Freitagabend ein Ultimatum bis Samstag um 10.00 Uhr (09.00 Uhr MEZ) gesetzt. Sollte er bis dahin die Macht nicht abgeben, werde sein Amtssitz gestürmt. Nach unbestätigten Berichten verließ Janukowitsch über Nacht die Hauptstadt. Er sei ins östliche Charkiw gereist, sagte ein ranghoher US-Diplomat.

In der Region, einer Hochburg des Staatschefs, finde ein politisches "Treffen" statt. Der Diplomat bezeichnete es aber als "nicht ungewöhnlich", nach einer wichtigen politischen Entscheidung den Osten zu besuchen, wo Janukowitsch seine "Basis" habe. Andere Gerüchte besagten, Janukowitsch sei auf dem Weg nach Sotschi zu einem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Das ukrainische Präsidialamt machte am Samstag zunächst keine Angaben über den Aufenthaltsort Janukowitschs.

Die unter Vermittlung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seiner Kollegen aus Polen und Frankreich zustande gekommene Übergangsvereinbarung sieht eine vorgezogene Präsidentschaftswahl bis Ende des Jahres vor. Nachdem die Regierung in den vergangenen Tagen mit Scharfschützen und gepanzerten Wagen gegen Demonstranten vorgegangen war und bis zu 100 Menschen getötet wurden, wollen viele Regierungsgegner seinen Verbleib im Amt aber keinen Tag länger akzeptieren. "Wahlen im Dezember reichen nicht", sagte etwa Oleg Bukojenko. "Er muss die Macht abgeben." Der junge Priester Michael Dudar sagte, es sei klar, dass die Leute blieben. "Der Feind lebt noch immer."

Vitali Klitschko, einer der Anführer der gemäßigten Opposition, entschuldigte sich am späten Abend auf dem Maidan dafür, dass er Janukowitsch nach der Unterzeichnung des Abkommens die Hand schüttelte. "Wenn ich einen von euch beleidigt habe, tut mir das leid", sagte er unter Buhrufen der Regierungsgegner.

Der Gesandte von Russlands Präsident Wladimir Putin, Wladimir Lukin, hatte das Interimsabkommen am Freitag nicht unterzeichnet, weil noch "einige Fragen ungeklärt bleiben". US-Präsident Barack Obama telefonierte wenig später mit Putin. Dabei seien sie sich einig gewesen, dass den Vereinbarungen nun schnell Taten folgen und dass alle Konfliktparteien von weiterer Gewalt absehen müssten, sagte ein hoher US-Regierungsvertreter im Anschluss.

Der Kreml erklärte sich erst am Samstag zu dem Telefonat. Darin habe Putin betont, dass Druck auf die "radikale Opposition" gemacht werden müsse, denn diese habe die Krise in der Ukraine auf eine gefährliche Spitze getrieben.

Das Übergangsabkommen sieht Präsidentschaftswahlen bis zum Jahresende, die Einsetzung einer Übergangsregierung sowie eine Verfassungsreform vor, die die Macht des Präsidenten dauerhaft beschneidet. Die Vereinbarung hatte Hoffnung auf ein Ende der Gewalt der vergangenen Tage aufkeimen lassen. Fast 70 Tote gab es den Behörden in Kiew zufolge seit Dienstag, Ärzte der Opposition sprachen gar von fast hundert Todesopfern.

Die Ukraine steckt in ihrer schlimmsten Krise seit ihrer Unabhängigkeit von der früheren Sowjetunion. Begonnen hatte sie mit Protesten gegen den antieuropäischen Kurs von Janukowitsch, später waren diese in blutiger Gewalt eskaliert.

(ap/dpa/AFP)
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