Jahrestag eines Unglücks Genuas Wunden sind noch nicht verheilt

Genua · Vor einem Jahr stürzte die Morandi-Brücke in Genua ein, 43 Menschen starben. Das Desaster ist unbewältigt.

 Am 14. August 2018 stürzte in Genua eine vierspurige Brücke ein, Dutzende Menschen starben.

Am 14. August 2018 stürzte in Genua eine vierspurige Brücke ein, Dutzende Menschen starben.

Foto: dpa/Antonio Calanni

Der 14. August 2018 war ein regnerischer Tag in Genua. Ein starkes Sommergewitter zog über die Stadt in Ligurien, Blitze schlugen ein. Um kurz nach halb zwölf gingen die ersten verzweifelten Anrufe in der Notrufzentrale ein. Auf Videos von Überwachungskameras ist zu sehen, wie erst einer der Betonpfeiler nachgibt und dann ein mehr als 200 Meter langes Stück einer Autobahnbrücke in die Tiefe reißt. Mehr als ein Dutzend Fahrzeuge stürzte in das Polcevera-Tal. In Erinnerung ist noch der auf Tausenden Fotos festgehaltene grüne Lkw, der erst kurz vor der Abbruchkante zum Stehen kam. 43 Menschen riss die Brücke in den Tod.

„Ein angekündigtes Desaster“ nannte der „Corriere della Sera“, Italiens renommierteste Tageszeitung, den Brückeneinsturz, der auch nach einem Jahr weiterhin schwere Folgen für Genua und seine Bewohner hat. Das Viadukt war eine der wichtigsten Verkehrsadern der Hafenstadt und verband den Westteil mit dem Osten Genuas. Hunderte Millionen Euro wirtschaftlicher Schäden errechneten die Unternehmerverbände, der Tourismus ging zurück. Der bereits zuvor intensive Verkehr Genuas ist seit der Katastrophe ein Desaster, Pendler stehen täglich stundenlang im Stau. Mit der Zahl der Autos auf den ungeeigneten Umgehungsstraßen wuchsen auch Frust und Wut.

Die Katastrophe verursachte auch psychologische Spätfolgen. Nicht nur bei den direkt Betroffenen, Angehörigen und Überlebenden. Etwa 1000 nicht unmittelbar betroffene Bürger sollen sich nach Angaben des Gesundheitsamts der Stadt Genua im vergangenen Jahr infolge der Katastrophe an Therapeuten oder Psychologen gewandt haben. Ihre Symptome reichen von Ängsten über Depressionen bis hin zu Ess-, Schlafstörungen und Alkoholismus.

Die Ursachen für den Einsturz sind Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen. Ermittelt wird gegen mehr als 70 Personen, die ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben könnten. Offenbar waren Ingenieuren und Kontrolleuren die statischen Probleme des Viadukts bekannt. Für Ende August waren Stabilisierungsarbeiten an zwei Betonpfeilern geplant, zu denen es nie kam. Sachverständigen zufolge waren einige der stählernen Tragseile der Brücke vom Rost zerfressen. Das 1967 fertig gestellte Morandi-Viadukt war offenbar baufällig. Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen die von der Familie Benetton kontrollierte Autobahn-Betreibergesellschaft und prüft mögliche Nachlässigkeiten bei der Wartung der Brücke.

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